Heimatabend
Vorführung heimischer Volksmusik und heimischer Bräuche durch ortsansässige Laien im Rahmen einer abendfüllenden Veranstaltung für Touristen. Die bevorzugte Bezeichnung in Tirol, dem wichtigsten Fremdenverkehrsland Österreichs, ist Tirolerabend. Das Programm dient der angeblichen bzw. geglaubten Selbstdarstellung der Volkskultur eines Ortes, einer Region, durch Trachten, Tänze, Musikstücke, Lieder, Jodler und szenische Darstellungen. Durch die „Vorführung traditionell und funktionell festgelegter Elemente des Volkstums außerhalb ihrer lokalen oder ständischen Gemeinschaft, die spielerische Nachahmung volkstümlicher Motive in einer anderen Sozialschicht und das von verschiedenen Zwecken bestimmte Erfinden und Schaffen volkstümlich wirkender Elemente abseits einer Tradition“ (Moser) ist der H. den unter Volkskundlern wie Heimatpflegern vieldiskutierten Erscheinungen des sog. „Folklorismus“ (Folklore) zuzurechnen. Themen, Motive, Repertoire und Ablauf des typischen H.s in den süddeutsch-österreichischen Alpengebieten gehen auf Prägungen durch verschiedene Vorläufer zurück: Folkloreveranstaltungen waren bereits die kaiserlichen Hoffeste im Gewande einer bäuerlichen Gasterei und Hochzeit, z. B. 1698 bei Kaiser Leopold I.; später die folkloristischen Vorführungen durch die ländliche Bevölkerung anlässlich der Durchreise hoher und höchster Herrschaften. In der Schweiz wurde 1805 das große Alphirtenfest in Unspunnen mit Alphornblasen, Absingen von Liedern und Belustigung an älplerischen Wettkämpfen zum internationalen Schaustück gemacht. Ab 1777 haben wir Nachrichten, dass Tiroler und Tirolerinnen im Ausland durch ihren Gesang auf sich aufmerksam machten. Viele dieser sog. „Nationalsänger“ (Alpensänger) aus Tirol, Kärnten und der Steiermark wurden berühmt, unternahmen weite Reisen und haben durch entsprechende Bearbeitungen von Volksliedern, aber auch durch Neuschöpfungen, ein publikumswirksames alpenromantisches Liedrepertoire geschaffen, das zum Teil auch von den Wiener Natursängern, die im Gefolge der Schrammelmusik bei den Heurigen (Heurigenmusik) rund um die Hauptstadt auftraten, übernommen wurde. Ab 1889 entstanden in Bayern Bauerntheatergesellschaften mit dem Zweck, die Fremden zu unterhalten. Die erste folkloristisch tätige Schuhplattlergruppe wird 1861 bei einem Münchner Volksfest erwähnt. Auch die Wiege der Trachtenvereine, die den H. zu seiner heutigen Form entwickelt haben, steht in Bayern, doch haben sich auch zahlreiche andere Vereine im Umkreis von Volkskunde und Tourismus um die organisierte Vorführung von Folklore im Tourismus bemüht (Tiroler Landesverband für Fremdenverkehr 1893, Österreichischer Touristenclub 1895, Niederösterreichischer Gebirgsverein 1895 u. a.). Das heute übliche H.-Repertoire besteht aus sentimentalen und heiteren Liedern, meist im Stil der Nationalsänger, sowie aus der Vorführung virtuoser Jodler, typischer Volksmusikinstrumente, Volkstänze (hauptsächlich Schuhplattler) und publikumswirksamer Szenen aus dem (vermeintlichen) Volksleben. Ein abschließender Publikumstanz wird oft zum Höhepunkt der geselligen Animation. Die maßlose Übertreibung des Derb-Komischen, etwa im sog. „Watschenplattler“ (mit gegenseitigen Hieben und Fußtritten) oder beim Kochen eines „Schmarrns“ (einer Art Omelett) auf der Bühne, der auf höchst unappetitliche Weise dem Publikum ausgeteilt wird, hat in Tirol 1969 zu einer Landesverordnung geführt, die den Gebrauch des Titels Tirolerabend für Veranstaltungen verbietet, die nicht gewissen Mindestqualitätskriterien entsprechen.
Literatur
M. P. Baumann, Musikfolklore und Musikfolklorismus. Eine ethnomusikologische Untersuchung zum Funktionswandel des Jodels 1976; G. Haid in Sänger- und Musikantenztg. 22 (1979); K. Horak in W. Deutsch et al. (Hg.), Volksmusik in Österreich 1984; K. Kapeller, Tourismus und Volkskultur. Folklorismus – zur Warenästhetik der Volkskultur. Ein Beitrag zur alpenländischen Folklorismusforschung am Beispiel des Vorarlberger Fremdenverkehrs mit besonderer Berücksichtigung der Regionen Montafon und Bregenzerwald 1991; H. Moser in Zs. für Volkskunde 58 (1962); H. Moser in Hessische Bll. für Volkskunde 55 (1964); W. Salmen in M. Schneider (Hg.), [Fs.] K. Horak 1980; W. Suppan/A. Mauerhofer in [Kat.] Musik i. d. St. 1980.
M. P. Baumann, Musikfolklore und Musikfolklorismus. Eine ethnomusikologische Untersuchung zum Funktionswandel des Jodels 1976; G. Haid in Sänger- und Musikantenztg. 22 (1979); K. Horak in W. Deutsch et al. (Hg.), Volksmusik in Österreich 1984; K. Kapeller, Tourismus und Volkskultur. Folklorismus – zur Warenästhetik der Volkskultur. Ein Beitrag zur alpenländischen Folklorismusforschung am Beispiel des Vorarlberger Fremdenverkehrs mit besonderer Berücksichtigung der Regionen Montafon und Bregenzerwald 1991; H. Moser in Zs. für Volkskunde 58 (1962); H. Moser in Hessische Bll. für Volkskunde 55 (1964); W. Salmen in M. Schneider (Hg.), [Fs.] K. Horak 1980; W. Suppan/A. Mauerhofer in [Kat.] Musik i. d. St. 1980.
Autor*innen
Gerlinde Haid
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Gerlinde Haid,
Art. „Heimatabend“,
in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
25.4.2003, abgerufen am ),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d0ed
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