Die Lehre vom Fundamentalbass, die bei Rameau die logische Ergänzung zur Akkordsystematik bildete, blieb hingegen ausgeklammert. Rameaus „basse fondamentale“ ist nicht eine beziehungslose Folge von Akkordgrundtönen (wie etwa Mozarts „basso fondamentale“), sondern reflektiert zugleich die Akkordverbindung. Erst S. Sechter entwarf im ersten Teil seiner Kompositionslehre (1854/55) im Anschluss an Rameau und Johann Philipp Kirnberger ein System möglicher Akkordfortschreitungen. Die Art der Klangverbindung wird durch den Abstand der Akkordgrundtöne und durch linearen Zusammenhalt bestimmt; Vorbereitung und Weiterführung der einzelnen Akkordtöne sind genau festgelegt. Der Fundamentalbasstheorie zufolge beruhen Akkordaufbau und Akkordprogression auf denselben beiden Intervallen, Terz und Quint. Terzsprünge im Fundament binden die Akkorde nur schwach aneinander. Als zwingendste Akkordfolge bildet der „Schlussfall“ V–I das Modell für sämtliche Verbindungen mit Quintsprung im Fundament wie auch für solche mit „scheinbar“ steigendem Sekundschritt, die durch Interpolation eines „Zwischenfundaments“ auf das Modell zurückgeführt werden.
A. Bruckner knüpfte in Inhalt und Aufbau seines Unterrichts eng an seinen Lehrer Sechter an. Die Deutung der Akkorde aus ihrem unmittelbaren Kontext heraus – die Funktion eines Klanges ergibt sich aus seiner Weiterführung –, die Herleitung der Chromatik aus der Diatonik und die Annahme einer falschen Quint über der II. Stufe in Dur gehören zur geistigen Hinterlassenschaft Sechters, dessen Autorität in musiktheoretischen Belangen Bruckner immer wieder betonte. Indem Bruckner zur Herleitung von Zusammenklängen die Stimmführung in viel geringerem Ausmaß als sein Lehrer heranzog, entfernte er sich von dessen Position allerdings in wesentlichen Punkten. Im Gegensatz zu Sechter interpretierte er den Vorhaltsquartsextakkord als bloße Dreiklangsumkehrung, und er akzeptierte Nonen- sowie gelegentlich auch Undezimen- und Tredezimenakkorde als selbständige Klänge. Bruckner griff dadurch einerseits auf die Marpurg-Tradition zurück und wies andererseits auf A. Schönbergs Polemik gegen sogenannte „harmoniefremde“ Töne und die Idee einer allmählichen Emanzipation der Dissonanz voraus.
Die drei großen theoretischen Entwürfe zur tonalen Harmonik, die österreichische Autoren zur Geschichte der Musiktheorie beitrugen, die H.n von H. Schenker (1906) und A. Schönberg (1911) sowie E. Kurths Studie zur romantischen Harmonik (1920), entstanden innnerhalb weniger Jahre und basieren allesamt auf der Tradition der Fundamentalbasslehre. Schenker und Schönberg demonstrierten ihre traditionelle Bindung etwa in der Dominanz, die sie der Quintbeziehung der Grundtöne für die Akkordprogression zuschrieben. Um die Frage der „harmoniefremden Töne“ entspann sich indes ein Konflikt zwischen ihnen, der zum einen die Marpurg-Kirnberger-Debatte des 18. Jh.s aktualisierte, zum andern die spezifische Ausrichtung der beiden Autoren markant beleuchtete. Noch ganz der Generalbasslehre verpflichtet, hatte Marpurg als Akkord genommen, was zusammenklang. Er beschränkte sich nicht wie Rameau auf Dreiklang und Septakkord, sondern kannte darüber hinaus auch Akkorde mit Non, Undezim oder Tredezim. War für Marpurg also jede erklingende Dissonanz Bestandteil eines Akkordes, so differenzierte Kirnberger die Dissonanzen. Ganz im Sinne Rameaus, dem er viel näher stand, als er zugeben wollte, betrachtete Kirnberger das kinetische Potential der Dissonanzen. Führten sie über stabilem Fundament in einen benachbarten Dreiklangston, nannte er sie „zufällige“ Dissonanzen (modern gesprochen: harmoniefremde Töne). Zwangen sie den gesamten Tonverband jedoch zum Wechsel in einen neuen Akkord, galten sie als „wesentliche“, als Akkorddissonanzen. Sowohl Sechter als auch Schenker bauten auf dieser grundlegenden Unterscheidung auf. Und der Gedanke, dass Klänge durch melodische Anreicherung prolongiert werden können, bildete die Grundidee von Schenkers innovativem Stufenbegriff. Zur Darstellung weit ausgreifender harmonischer Verläufe fasste Schenker Klänge über mehreren Fundamenten zu einer Stufe zusammen. Er bezeichnete damit also lokale harmonische Zentren. Die Töne, aus denen sich diese prolongierten Stufen zusammensetzen, entfalten ihr kinetisches Potential, indem sie Dissonanzen oder eben andere Akkorde berühren, die allesamt dem zentralen Klang untergeordnet sind.
In seiner Kritik am Begriff harmoniefremder Töne knüpfte Schönberg unausgesprochen über Bruckner an Marpurg an. Auch für ihn gehörte alles zugleich Erklingende zum Akkord. Zwar befasste sich Schönbergs H. hauptsächlich mit tonaler Musik; erst gegen Ende des Buchs werden aus der Ganztonleiter abgeleitete Akkorde, Quartenakkorde sowie sechs- und mehrtönige Klänge als Gestaltungselemente erweiterter oder aufgehobener Tonalität angesprochen. Indem der Autor jedoch die jeweilige Zusammensetzung auch der tonalen Klänge ohne Rücksicht auf das kinetische Potential der vorhandenen Dissonanzen in den Mittelpunkt rückte, blickte er aus der Perspektive der Atonalität auf die Tonalität zurück. Atonale Klänge sind statische Entitäten; zwangsläufige Akkordfortschreitungen werden bewusst vermieden. Je mehr Spannung dagegen ein tonaler Akkord erhält, umso zwingender wirkt seine Fortführung. In atonaler Musik bilden die Dissonanzen ein statisches, auf den jeweiligen Moment beschränktes Spannungsfeld; sie haben sich von allfälligen Vorbereitungs- und Auflösungskonsonanzen emanzipiert. In tonaler Musik führen die Dissonanzen dagegen zu Bewegung, deren Art und Ausmaß in der Unterscheidung von Akkord- und harmoniefremden Tönen sinnvoll differenziert wird.
Die Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners Tristan von E. Kurth ist keine H. im eigentlichen Sinn. Das Buch bildet den zweiten Teil einer Trilogie, in der die traditionellen Disziplinen Kontrapunkt, Harmonie- und Formenlehre aufgehoben sind. Mit den Arbeiten über J. S. Bachs linearen Kontrapunkt und Bruckners Formgestaltung verbindet es zum einen die Beschränkung auf einen Komponisten, an dem die jeweilige Thematik exemplarisch abgehandelt wird, zum andern das Prinzip einer dynamischen Musikauffassung. Kurth erkannte in der Tonkunst primär die Auswirkungen von Kräften, die dem musikalischen Material innewohnen. Harmonik war für Kurth die Lehre vom Spannungsgehalt der Klänge, deren Wurzel die „Leittonenergie“, also melodisches Potential, bilde. In der Vielfalt der Möglichkeiten, die Spannung der Akkorde durch Alteration, Akkorddissonanzen oder harmoniefremde Töne, durch Rückungen und tonale Überlagerungen zu intensivieren, fand Kurth das Besondere der romantischen Harmonik. Seine Annahme, dass die Vertikale der Horizontale untergeordnet sei – die harmonischen Implikationen einer Melodie bestimmte Kurth als Sekundärerscheinung gegenüber dem linearen Zusammenhang, den sie auspräge –, erscheint als Reflex auf die große Bedeutung, die die Fundamentalbasslehre linearen Momenten für die Akkordprogression zuschreibt. Kurths Konzeption einer Harmonik, die allein aus linearen Kräften gespeist wird, und diejenige von Schönberg, für den lineare Momente aus der Harmonik ausgeklammert werden können, sobald man deren historische Bedingtheit erkennt, stehen nur scheinbar im Widerspruch zueinander. Kurth dachte eine reine, aus jedem harmonischen Korsett befreite Melodik, Schönberg imaginierte eine von Stimmführungsregeln unbehelligte Harmonik. Beide Ansätze bilden eine Grundlage atonaler Musik, indem sie die strikte Trennung von Vertikale und Horizontale voraussetzen und genau damit den Boden der Fundamentalbasslehre verlassen.
Die theoretischen Implikationen in den Büchern von Schenker, Schönberg und Kurth hatten auf die an den österreichischen Musiklehranstalten im Unterricht eingesetzten H.n wenig Auswirkung. Viele dieser Bücher (Stöhr 1906, Marx/Bayer 1933, Bloch 1948, Tittel 1965) erheben weiter keinen Anspruch als den einer besonders knappen oder ausführlichen, jedenfalls klaren und übersichtlichen Darstellung eines vorgegebenen Unterrichts-Stoffes.
Auch Hugo Riemanns Funktionstheorie übte in Österreich nur geringen Einfluss aus. H. Grabner, ein gebürtiger Grazer, lehrte in Deutschland. Er eliminierte in seinem Lehrbuch (1944) die dualistischen Grundlagen von Riemanns System und erzielte durch praxisorientierte Darstellung große Breitenwirkung. Zu den wenigen H.n österreichischer Autoren in der Tradition Riemanns gehören weiters Publikationen von H. Kauder (1932), Friedr. Neumann (1951) und S. Levarie (1954 nach der Emigration in die USA entstanden).
D. de la Motte hatte 1988–96 den ersten Lehrstuhl für Musiktheorie an der Wiener MHsch. inne. Grundlage seiner H. (1976) ist ebenfalls die Funktionstheorie. Doch nicht die Verwendung von Funktionszeichen hat de la Mottes großen Erfolg begründet, sondern sein undogmatischer und historisch fundierter Zugang zum Lehrstoff. Der Autor stellt kein fertiges System vor, sondern leitet den Leser statt dessen an, Regeln und kompositorische Technik an den Werken der Meister selbst zu entdecken. Einer ähnlichen Tendenz, die H. geschichtlich zu untermauern, folgen die vor und während dessen Wiener Lehrtätigkeit entstandenen Schriften Claus Ganters (1975, 1983–90).
H. gehörte und gehört zur Basisausbildung von Komponisten. Eine verbindliche atonale Harmonik hat sich nie etablieren können. Je größer jedoch der Abstand zwischen tonaler Harmonik und dem jeweils aktuellen Umgang mit Tonmaterial wurde, desto geringer erwies sich das Bedürfnis der Komponisten, das eigene Schaffen im Rekurs auf eine Theorie der Tonalität zu legitimieren. Dass die H. seit den ersten Dezennien des 20. Jh.s keine wegweisenden Konzepte mehr hervorgebracht hat, liegt an der nachlassenden Wirkungsmacht tonaler Traditionen. So wurde, was ehedem eine Grundlage des musikalischen Handwerks gebildet hatte, zunehmend zur Angelegenheit von Historikern.
R. Wason, Viennese Harmonic Theory from Albrechtsberger to Schenker and Schoenberg 1985, 21995; J. Lester, Compositional Theory in the Eighteenth Century 1992, 21994; C. Dahlhaus, Die Musiktheorie im 18. und 19. Jh., 2. Tl.: Deutschland, hg. v. R. E. Müller 1989; C. Dahlhaus in Proceedings of the Royal Musical Association 100 (1973/74); G. Gruber in H. Dechant/W. Sieber (Hg.), [Fs.] H. Beck 1982; E. Kurth, Die Voraussetzungen der theoretischen Harmonik und der tonalen Darstellungssysteme 1913; E. Tittel in M. Vogel (Hg.), Beiträge zur Musiktheorie des 19. Jh.s 1966; M. Wagner, Die H.n der ersten Hälfte des 19. Jh.s 1974. – Quellen (chronologisch): S. Sechter, Die Grundsätze der musikalischen Komposition 1853/54; A. Bruckner, Vorlesungen über H. und Kontrapunkt an der Univ. Wien, hg. v. E. Schwanzara 1950; H. Schenker, H. 1906; R. Stöhr, Praktischer Leitfaden der H. 1906; A. Schönberg, H. 1911; E. Kurth, Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners „Tristan“ 1920; H. Kauder, Entwurf einer neuen Melodie- und H. 1932; J. Marx/F. Bayer, H. 1933; H. Grabner, Hb. der H. Praktische Einleitung zum funktionellen Tonsatz (Titel in weiteren Auflagen: Hb. der funktionellen H.), 2 Bde 1944; W. Bloch, Neue H. für den Schulgebrauch und zum Selbstunterricht 1948; A. Schoenberg, Structural functions of harmony [1948] 1954 (dt.: Die formbildenden Tendenzen der Harmonie 1957); F. Neumann, Synthetische H. 1951; S. Levarie, Fundamentals of harmony 1954; E. Tittel, H. , 2 Bde. 1965; C. Ganter, Die dur-moll tonale Harmonik, 2 Bde. 1975; D. de la Motte, H. 1976; C. Ganter, H. – ein Irrtum? Literaturbeispiele zur Dur-Moll-tonalen Harmonik 1 (1983), 2 (1985) u. 3 (1990).