Die G.praxis in Österreich zeichnet sich im Vergleich zum übrigen deutschsprachigen Raum durch frühen und starken italienischen Einfluss und durch die späte Rezeption der Fundamentalbasstheorie Jean-Philippe Rameaus aus. Die Bezifferung von Bässen, die sich zusammen mit der Gattung des Kirchenkonzerts in der 1. Hälfte des 17. Jh.s verbreitete, löste die ältere Notationsweise in Tabulaturen ab. Einschlägige Traktate, die zunächst in Handschriften, ab dem 18. Jh. zunehmend auch in Drucken kursierten, richteten sich meist ausschließlich an Organisten. Die ältesten, die wir kennen, stammen vom Wiener Domorganisten W. Ebner (vermutlich vor 1650) und vom Hoforganisten A. Poglietti (1676). Mit J. J. Prinners Musicalischem Schlissl von 1677 setzt eine zweite, schwächere Tradition ein, in der die G.lehre in eine umfassende allgemeine Musiklehre integriert ist. Zahlreiche Lehrschriften haben sich aus dem Kreis der Salzburger Hoforganisten erhalten (Georg Muffat, J. B. Samber, M. Gugl, J. E. Eberlin, A. C. Adlgasser, M. Haydn).
J. G. Albrechtsbergers um 1800 in Wien erschienene Schriften zum G. nehmen vom Konzept der Akkordumkehrung noch keine Notiz und rekurrieren derart auf den Entwicklungsstand des frühen 18. Jh.s. In Österreich geriet der G. erst im frühen 19. Jh. zunehmend in den Sog der Harmonielehre. Durch die enge Verbindung von Schulmeister- und Organistenamt war die G.bezifferung, deren schriftliche Aussetzung und instrumentale Ausführung im Vormärz (Biedermeier) fixer Bestandteil der Lehrerausbildung und der Bedarf an Lehrbüchern dementsprechend hoch. Neben Nachdrucken der Standardwerke von Johann Philipp Kirnberger und D. G. Türk erschienen in Wien zahlreiche Lehrbücher heimischer Autoren (E. A. Förster, J. Drechsler, J. Preindl, G. Salzmann u. a.). Darin wurde oftmals in der Art Friedrich Wilhelm Marpurgs (der ab der Mitte des 18. Jh.s in Deutschland eine inhomogene Mischung aus alter G.- und moderner Harmonielehre propagiert hatte) das Konzept von Akkordumkehrung und Terzenschichtung zu einer Systematik der Akkorde verwendet, ohne zugleich im Sinne Rameaus zu einer Lehre der Akkordfortschreitung vorzudringen. Erst S. Sechter kombinierte in seiner Kompositionslehre beide Bereiche, Aufbau und Fortschreitung der Akkorde. In den Lehrplänen des Wiener Konservatoriums blieb noch lange der alte Name für das neue Fach bestehen. Sechter unterrichtete in Wien den Stoff der Harmonielehre bis 1867 offiziell als Professor für G. Als Notationspraxis blieb der G. in der Kirchenmusik bis weit ins 19. Jh. hinein in Gebrauch. A. Bruckner etwa verwendete die G.bezifferung in seiner Kirchenmusik bis 1856; in späteren Werken ist der Orgelpart ausgeschrieben.
H. Federhofer in G. Muffat, An Essay on Thoroughbass 1961; H. Federhofer in Acta mus. 36 (1964); R. Wason, Viennese Harmonic Theory from Albrechtsberger to Schenker and Schoenberg 21995; MGG 3 (1995); U. Thomson, Voraussetzungen und Artungen der österreichischen G.lehre zwischen Albrechtsberger und Sechter 1978; Jahresbericht des Wiener Konservatoriums der Musik, Schuljahr 1866–1867 [1867].