Seit dem 18. Jh. vokale Gattung in Vaudevilles, Opéras-comiques, Singspielen und Possen mit Gesang sowie Operetten französischer und Wiener Provenienz. Durch instrumentale Ritornelle strukturiert und in Strophen unterschiedlicher Verslänge gegliedert, die – auf dieselbe Melodie vorgetragen – mit einem pointierten Refrain schließen, unterbricht das C. die fortlaufende Handlung, indem es sich – zumeist auf ein Stichwort des vorhergehenden Dialogs oder Monologs – der kritischen Betrachtung denkwürdiger Fälle menschlichen Lebens und des politischen sowie kulturellen Alltags widmet. Dem witzigen Stropheninhalt, der von heiter-burlesk über parodistisch bis hin zur beißenden Satire reichen kann, entspricht eine breite Spanne an Gestaltungsmöglichkeiten im Vortrag, der häufig durch die drastisch karikierende Imitation verschiedener Sprechebenen und Gesangsstile und durch einen Wechsel zwischen kantablen Passagen und Sprechgesang gekennzeichnet ist.
Innerhalb der Wiener Volkskomödie profilierte J. Nestroy das satirische C. in seinen Possen mit Gesang; die zunehmende Zahl an Versen führte bei ihm schließlich zu zwei- und dreiteiligen Strophenformen mit Binnen- und Schlussrefrain, deren Metrum sich durch bewusste Akzentuierungen bestimmter Silben einer fließenden Melodielinie zu entziehen scheint. Im Zuge des vieldiskutierten „Niedergangs“ der Wiener Volkskomödie im Geiste F. Raimunds war das C. als Rollenlied bereits in der 2. Hälfte des 19. Jh.s umstritten (Adalbert Stifter, 1867), und in bewusster Abhebung von der französischen Operette Offenbachscher Prägung wählten Komponisten der Wiener Operette nach J. Strauss Sohn (L. Fall, E. Kálmán) im frühen 20. Jh. alternative Bezeichnungen. Im Kabarett der Zwischenkriegszeit war das C. neben dem Chanson eine selbständige Gesangsnummer.
HmT 1972; MGG 2 (1995); B. Amlinger, Dramaturgische Strukturen der Gesangseinlage in der Alt-Wiener Volkskomödie, Diss. Wien 1985; P. Branscombe in Proceedings of the Royal Musical Association 98 (1971/72); J. Hein in G. Stieg/J.-M. Valentin (Hg.), Johann Nestroy 1991; F. Nötzold (Hg.), Mein Weib ist pfutsch. Wiener C.s 1969; O. Rommel in J. Nestroy, Gesammelte Werke 6 (1949).