Ein unbezeichnetes, meist auch undatiertes A. einem bestimmten Autor zuzuordnen ist oft schwierig, da nicht immer eindeutige weitere Manuskripte als Vergleich, z. T. nur sehr vereinzelte andere Schriftproben vorliegen und die Noten- wie auch die Buchstabenschrift desselben Komponisten sich aus vielen Gründen ändern können. Leichter sind zeitliche und lokale Eingrenzungen vorzunehmen. Kriterien für die Bestimmung musikalischer Eigenschriften sind: schriftkundliche Untersuchungen, Signierung, Signa und Devisen, Datierungs- und Ortsangaben, Zeugenbestätigungen, Korrekturen, Funktion des Manuskripts, diplomatische Quellenkritik (besonders Papier- und Wasserzeichenuntersuchungen), Überlieferungsumstand und -qualität sowie stilkritische Untersuchungen. In Österreich hat Agnes Ziffer für Kleinmeister zur Zeit der Wiener Klassik (1984) in dieser Richtung Studien zur Quellensicherung vorgelegt.
A.e bilden die wichtigste Basis für Werküberlieferung und Erkenntnisse zur Werkgenese, sind Grundlage für wissenschaftlich-kritische Werkausgaben (Edition, Gesamtausgabe), wobei oft auch mehrere autorisierte Quellen zu einem Werk zu bewerten sind (etwa bei abweichenden Lesarten oder gar Fassungen – z. B. bei A. Bruckner –, bei Änderungen während des Korrekturstadiums, die nicht mehr ins A. übernommen wurden – z. B. bei L. v. Beethoven). Schwierigkeiten treten auch auf, wenn nicht mehr alle wichtigen Quellen zu einem Werk (neben Notenvorlagen auch Briefe usw.) zur endgültigen Autorisierung vorliegen. H. Schenker wies 1913 auf Feinheiten der autographen Notation hin, die oft interpretatorische Hinweise enthalten, die von normierenden Stichregeln übergangen wurden, und initiierte mit seiner Forderung, A.e zur Rettung vor „Verwüstung“ zu faksimilieren und damit leichter zugänglich zu machen, das 1927 von A. van Hoboken gegründete Archiv für Photogramme musikalischer Meister-Hss. (das „Meister-Archiv“ in der Musiksammlung der ÖNB) mit derzeit ca. 62.000 Photostataufnahmen von z. T. heute nicht mehr erhaltenen Originalen. Andere Wege wurden in Deutschland mit der Berliner Zentralkartei der A.en deutscher Archive, Sammlungen etc. beschritten, während RISM alle erhaltenen musikalischen Quellen (nicht nur A.e) in einer computergestützten Datenbank erfasst.
Mit der zunehmenden Wertschätzung als Dokumente des Schaffensprozesses, aber auch allgemein als Reliquien wurden A.e (Noten und Schriften), die vorher meist bei den Autoren bzw. Adressaten (Auftraggebern usw.) oder an Aufführungsorten wie z. B. Kirchen verwahrt wurden, gegen Ende des 18. Jh.s zum Objekt systematischen Sammelns (ausgehend z. B. von den von der Witwe verkauften Manuskripten W. A. Mozarts). In Österreich legten u. a. G. van Swieten, F. B. v. Keeß große Sammlungen an. Die im 19. Jh. aufkommende historistische Grundhaltung verstärkte auch hier das Interesse privater Sammler. Zu ihnen zählten Mitglieder des Kaiserhauses, weitere Vertreter des Adels und besonders R. G. Kiesewetter, der die größte Sammlung seiner Zeit in Österreich besaß. Deren Bestände wurden später zum großen Teil von staatlichen bzw. privaten Archiven übernommen (z. B. wurde die Sammlung von M. Graf v. Dietrichstein Grundstock der Musiksammlung der ÖNB bzw. gingen viele A.e – u. a. die Erzhzg. Rudolphs – als Schenkung an die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde; einige österreichische Privat-Sammlungen wurden allerdings auch ins Ausland verkauft, wie die von A. Fuchs). Der Handel mit Musiker-A.en begann in Österreich 1838 mit dem Auktions-Verzeichnis der Firma Artaria und wird heute von verschiedenen Antiquariaten durchgeführt, wobei – wie zu allen Zeiten – auch immer wieder mit Fälschungen zu rechnen ist (u. a. wurde von St. Zweig, selbst Sammler, auf gefälschte Mozart-Hss. hingewiesen).
MGG 1 (1994) u. 1 (1949–51); MGÖ 2 (1995).