Gegenüber z. T. durch Folklore beeinflussten Ansätzen in Frankreich, Russland, Ungarn, USA ist die „freie“ A. der Schönberg-Schule durch ein Bündel von Prinzipien gekennzeichnet, die in anderen Konzepten von A. lediglich vereinzelt wirksam wurden. (1) Skalen treten als Ausgangspunkt melodischer und harmonischer Gestaltung in den Hintergrund. (2) In Akkorden gibt es weder Grundton, noch sind die Töne durch Terzschichtung aufeinander bezogen. Ohne Klangfundamente entfällt die Möglichkeit, tonale Zentren und Tonarten auszubilden. (3) Schönberg nennt die Aufgabe des den Tonsatz seit etwa 1300 prägenden Klangwechselprinzips „Emanzipation der Dissonanz“ (1976, 211); die Dissonanz bedürfe nicht länger der Auflösung in eine Konsonanz. Dies ist Voraussetzung für die Vorherrschaft der Dissonanz in den Zusammenklängen, den faktischen Ausschluss der Konsonanz. (4) Der Verzicht auf Wiederholung bedeutet im Bereich von Harmonik und Melodik eine Tendenz zum chromatischen Total – ein Ton darf erst wiederkehren nach Erklingen der anderen elf Tonhöhen; er bedeutet im Bereich der Syntax den Verzicht auf regelmäßige Taktgruppen und symmetrische Bildungen, formal die Reduktion der Dimensionen und ästhetisch den Vorrang des Unbewussten über rationales hörendes Erfassen durch Erinnerung und Erwartungen.
Seit den 1950er Jahren kann der Komponist und Theoretiker F. Neumann als Sprachrohr einer inhomogenen Gruppe österreichischer Komponisten gelten, für die A. eine historische Fehlentwicklung darstellt und denen im Gefolge etwa von Paul Hindemith oder J. N. David eine „kirchentonale Harmonik“ (1955, 28) als zeitgemäße Alternative erscheint.
HmT 1995; MGG 1 (1994); R. Stephan in Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft 3 (1996); Th. W. Adorno, Philosophie der neuen Musik 1949; A. Schönberg,Gesinnung oder Erkenntnis (1925) in Stil und Gedanke , hg. v. I. Vojtěch 1976; F. Neumann, Tonalität und A. 1955.