Totentanz
Erstmals 1376 literarisch greifbare Todesmetapher, ausgelöst wohl durch die Pest um 1350. Die Ableitung von frz.
danse macabre (danach auch dt.
Makabertanz) ist umstritten und wohl von Volksetymologien überlagert; am wahrscheinlichsten ist die Etymologie von den meist jüdischen Totengräbern im
mittelalterlichen Frankreich. Sie fand erstmals künstlerischen Ausdruck in einem seit dem späten 14. Jh. belegten Typus von Prozessionsspiel (
Mysterienspiel), in dem Vertreter aller Stände zwanghaft einem Toten folgen. Dieser Inhalt wird ab etwa 1480 auch in Wandgemälden festgehalten, wobei aus dem Toten eine Personifizierung des Todes wurde, der oft als Tanzmusikant (mit allen Arten von Instrumenten, die man gemeinhin mit
Spielleuten assoziierte) dargestellt ist. Die dadurch gegebene Analogie zwischen
Prozession und Reigentanz (
Tanz) ist durch die Stilisierung des Schreitens in beiden (Nacheinander, Handreichen der Teilnehmer) begründet und bedeutet so lange keine wesentliche Veränderung, als man nicht auch den Reigen als von der Kirche bekämpften und daher negativ besetzten Tanz auffasst. Entsprechende literarische Motive führten schließlich ab dem
Barock zu verschiedenen
T. genannten Tanzspielen (Fangspiel; schrittweiser Ausschluss der Teilnehmer; Umtanzen und Wiedererweckung einer/eines „Toten“ durch einen Kuss; der Tod als
„schwarzer Mann“ steht wohl auch hinter anderen
Spielen, z. B. dem Kartenspiel
„schwarzer Peter“).
Hatte sich der Wortbestandteil „Tanz“ bis dahin zumindest als eine Stilisierungsform verstanden, konnte erst so daraus eine Unterhaltungsform entstehen und der ernste Hintergrund wahrlich ver-drängt werden. Trotz allfälliger Modifizierungen oder Projektionen (z. B. auf bestimmte Modetänze) ist auch in Österreich keine engere Beziehung zur fröhlichen Apokalypse herzustellen. Überhaupt kann Österreich nicht als besonderes Rezeptionsgebiet der erwähnten Ausgangspunkte angesehen werden:
den monumentalen Bildtypus repräsentierte nur die dem Basler Blockbuch nahestehende Darstellung vom Karner in Metnitz/K (zw. 1500/10),
dessen Reste in das Metnitzer Totentanzmuseum übertragen wurden (s. Abb.). Daher sind darauf direkt, mittelbar oder in parodistischer Weise nur gewisse Singtänze, einige geistlich-betrachtende (d. h. durchaus un-tänzerische) Lieder sowie als T. bezeichnete Spielstücke zu beziehen: z. B. „Ir tanczer vnd spranczer“ im Hohenfurter Liederbuch (um 1460), T. im sog. Hallwil-Lautenbuch (um 1645). Umfangreichere Kompositionen, von F. Liszts
T. (LW H8, 1847/62) über den Todtenmarsch in Callots Manier oder den Trauermarsch in G. Mahlers
1. bzw. 5. Symphonie (1889, 1902), C. Bresgens
T. nach Hans Holbein (1958) bis zu G. Ligetis die Gattungen überschreitendem Le Grand Macabre (1974) und H. Stuppner(1978), sind nicht auf regionale oder gar lokale Traditionen zurückzuführen, sondern auf die allgemeine Bekanntheit des Topos T. Der Erforschung und Propagierung des Phänomens T. widmen sich mehrere T.-Vereinigungen. In Metnitz wird seit 1957 periodisch ein T. aufgeführt.
LexMA 8 (2002); R. Hammerstein, Tanz u. Musik des Todes. Die mittelalterlichen T.e u. ihr NachlebenReinhold Hammerstein, Tanz und Musik des Todes. Die mittelalterlichen Totentänze und ihr Nachleben. Bern–München 1980. 1980; W. Salmen in MfWalter Salmen, Mittelalterliche Totentanzweisen, in Die Musikforschung 9/2 (1956), 189f. 9 (1956); F. M. Böhme, Gesch. des Tanzes in DeutschlandFranz Magnus Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. Leipzig 1886. 1886; H. J. Moser, Tönende VolksaltertümerHans Joachim Moser, Tönende Volksaltertümer. Berlin 1935. 1935; MGÖ 1 (1995).
8.6.2006
Rudolf Flotzinger,
Art. „Totentanz“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
8.6.2006, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e4d6
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