Berg, Berg, true
Alban Maria Johannes
*
1885-02-099.2.1885
Wien,
†
1935-12-2424.12.1935 Wien.
Komponist.
Als Sohn eines aus Nürnberg/D stammenden Kunst- und Buchhändlers und einer
Wiener Bürgerstochter wird B.s literarische und musikalische Begabung bereits frühzeitig gefördert. Dem ersten Klavierunterricht folgen seit etwa 1900 autodidaktische Kompositionsversuche, v. a. von Vokalwerken. Im Oktober 1904 lernt er
A. Schönberg kennen und wird von diesem als Schüler angenommen. Die ersten öffentlichen Aufführungen seiner Werke finden seit 1907 bei Konzerten im Schülerkreis statt. Während seine
Sieben frühen Lieder (1905–08) noch deutlich in der Tradition
R. Schumanns und
G. Mahlers stehen, richtet sich B. mit der Klaviersonate op. 1 (1907–08) zunehmend an den kompositionstechnischen Neuerungen des Lehrers aus. Sein letztes Werk unter der Aufsicht Schönbergs, das bereits deutliche Eigenständigkeit verrät, ist das 1910 entstandene Streichquartett op. 3. Das Satzbild zeigt eine außerordentliche Verdichtung der motivischen Arbeit und ein merkliches Lockern der Bindung an die Dur-Moll-Tonalität (
Tonalität). Nach seinem Realschulabschluss schlägt B. zunächst (bis 1906) die Laufbahn eines Rechnungsbeamten ein. Die finanzielle Sicherheit einer Erbschaft ermöglicht es ihm aber nur wenig später, als freier Kompositionslehrer zu leben. 1911 heiratet er Helene Nahowski (1885–1976). Von kurzen, beruflich bedingten Reisen abgesehen, verbringt B. von nun an (bis zu seinem Tod) die Zeit vom Herbst bis zum Frühling stets in Wien, den Rest des Jahres in
Kärntner und
steirischen Sommerfrischen. Die Schwierigkeiten nichttonaler
Formbildung (
Atonalität) fördern innerhalb des für B. typischen, bedächtigen und besonders gründlichen Arbeitsprozesses vorübergehend eine ausgesprochene Kürze seiner Kompositionen, deren mikroskopische Gedrängtheit Schönberg (etwa an den Klarinettenstücken op. 5) nachdrücklich beanstandet. B.s Komponieren ruft in dieser Zeit beim breiteren Publikum verständnislose Reaktionen hervor, die sich besonders deutlich in den Tumulten nach der Wiener Aufführung der
Altenberglieder op. 4 vom März 1913 niederschlagen. Mit den im folgenden Jahr abgeschlossenen
Drei Orchesterstücken op. 6, die sich bewusst in die Tradition G. Mahlers stellen, gestaltet B. erneut groß angelegte Formzusammenhänge. Im Mai 1914 erlebt er eine Aufführung von Georg Büchners Dramenfragment
Woyzeck und entschließt sich, den literarischen Stoff für eine Oper zu adaptieren. Nicht zuletzt durch seinen Militärdienst in der österreichischen Armee während des Ersten Weltkriegs verzögert sich die Arbeit an diesem Werk merklich. Erst im April 1921 kann B.
Wozzeck vollenden. Zwei Jahre später erstellt er, von Hermann Scherchen angeregt, eine Konzertfassung dreier
Fragmente aus dem ersten und dritten Akt, durch deren erfolgreiche Aufführung er im Sommer 1924 auf dem Musikfest des
Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Frankfurt am Main erste Berühmtheit erlangt. Am 14.12.1925 dirigiert
E. Kleiber die UA des
Wozzeck an der Berliner Staatsoper. Sie ruft zunächst einen heftigen, v. a. musikpolitisch motivierten Parteienstreit hervor; der Partitur werden dabei u. a. unüberwindliche technische Schwierigkeiten nachgesagt. Durch nachfolgende Aufführungen in
Prag (1926), Leningrad (1927) oder im Provinztheater von Oldenburg in Niedersachsen/D (1929) werden diese Vorurteile aber entkräftet. An der Wiener
Staatsoper ist das Werk erstmals am 30.3.1930 unter
C. Krauss zu hören und erlebt für eine Novität bemerkenswerte 14 Aufführungen. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte setzt sich damit fort. Bis Ende 1936 wird
Wozzeck von nahezu 30 Opernhäusern nachgespielt. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre schreibt B. zunächst v. a. wieder
Kammermusik. Das
Kammerkonzert und die
Lyrische Suite nähern sich zugleich einer klassizistischen
Ästhetik an und bedienen sich erstmals eigenständig angewendeter Elemente der
Zwölftontechnik. B. sucht während dieser Zeit stetig nach einem neuen Opernstoff. Möglicherweise bereits 1927 entscheidet er sich für Frank Wedekinds
Lulu-Tragödie. Sieben Jahre später, im April 1934, kann
Lulu bis auf wenige Ensembleszenen im Particell abgeschlossen werden. B.s finanzielle Lage verschlechtert sich durch die erheblich verminderten Aufführungszahlen im
nationalsozialistischen Deutschland zunehmend. Er unterbricht seine Arbeit an der noch unabgeschlossenen
Lulu im April 1935 für ein
Violinkonzert, das der amerikanische Geiger
L. Krasner in Auftrag gegeben hat. Eine wesentliche Verdringlichung erfährt der künstlerische Einsatz B.s durch den Tod von
A. Mahlers Tochter Manon, der das Werk als eine Art Requiem zugedacht wird
(„Dem Andenken eines Engels“). In bemerkenswertem Tempo kann die Partitur bereits im August desselben Jahres abgeschlossen werden. Nur wenige Monate später stirbt B. an einer verschleppten Sepsis. Er wird am 28.12.1935 auf dem Hietzinger Friedhof (s.
Abb.) beigesetzt.
B.s Musik steht jener musikalischen Tradition nahe, die R. Kolisch als „Wiener Espressivo“ (Ausdruck) bezeichnet hat. Vom künstlerischen Denken der „Wiener Klassiker“ und jenem Mahlers, unter den Zeitgenossen besonders durch Schönberg und den Schriftsteller K. Kraus, wird B. in dieser Hinsicht wesentlich geprägt. Eigentümlich für sein Schaffen ist die Verbindung von höchster motivisch-thematischer bzw. formaler Konstruktivität und einer besonders affektreichen Sinnlichkeit der Gestaltung. B.s Hang zu Mystik und Theosophie (deutlich etwa in einer mitunter durchgängig anzutreffenden numerologischen und programmatischen Schicht seiner Werke) verbindet sich dabei mit einer scharfsinnigen und überaus systematisch verfahrenden Analytik, die auch in seinen musikpublizistischen Veröffentlichungen (Anbruch, 23 u. a.) aufscheint. Seine Kunst des „kleinsten Übergangs“ (Adorno) verschmilzt unterschiedlichste Techniken (etwa tonale und tonartfreie Elemente), Idiome und Formprinzipien der Überlieferung in einem wesentlich „synkretistischen“ Kompositionsverfahren. B.s nachhaltige Wirkung auf das Komponieren in Österreich kann durch seine eigene Lehrtätigkeit, aber auch durch die nach 1945 verhältnismäßig hohen Aufführungszahlen seiner Musik erklärt werden. B.s planvoller Pluralismus in der Auseinandersetzung mit der Tradition zeigt namentlich seit den 1970er Jahren eine verstärkte künstlerische Nachfolge (z. B. bei F. Cerha); jedoch lässt sich seine kompositorische Wirkung in Wien bereits auf unmittelbar überlieferte Fermente des musikalischen Denkens der „Wiener Schule“ seit den 1950er Jahren zurückführen (so durch H. E. Apostel, H. Jelinek, H. Swarowsky, E. Ratz, F. Wildgans, J. Polnauer oder J. Trauneck).
ehrenhalber gewidmetes Grab am Friedhof Hietzing (Wien XIII, s.
Abb.); Gedenktafel in Trahütten/St, Kruckenberg 58; A.-B.-Gasse (
Judenburg, Möllersdorf/NÖ,
Tulln, Traiskirchen/NÖ); A.-B.-Weg (
Deutschlandsberg,
Villach, Wien XIII); Denkmal (Wien I, Herbert-von-Karjan-Platz).
u. a. zahlreiche Unterrichtskompositionen; Lieder (Jugendlieder, Lieder op. 2, Orchesterlieder op. 4, Konzertarie Der Wein); Klaviersonate op. 1; Kammermusik (Streichquartett op. 3, Lyrische Suite für Streichquartett; Kammerkonzert); Orchesterwerke (Drei Orchesterstücke op. 6); zwei Opern (Wozzeck, Lulu); Violinkonzert.
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Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
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https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f85e
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