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Wolf, Wolf, true Hugo
* 1860-03-1313.3.1860 Windischgrätz/Steiermark (Slovenj Gradec/SLO), † 1903-02-2222.2.1903 Wien. Komponist. Zweiter Sohn von Katharina (geb. Nußbaumer) und Philipp W. (1828–87), eines musikalisch vielseitig gebildeten Lederfabrikanten, der seine vier Töchter (Modesta, Cornelia, Katharina, Adrienne) und drei Söhne (Max, Hugo, Gilbert) früh mit Musik vertraut machte und in privaten Ensembles musizierte. Überzeugt davon, dass Musikberufe nur selten Wohlstand bieten konnten, diente die strenge Musikausbildung der Kinder nur der Erfüllung des damaligen Bildungsideals, allenfalls dem privaten Vergnügen. Sohn H. fand am Klavier- und Violinespiel bereits im Alter von vier bis fünf Jahren Gefallen und entschloss sich nach seinem ersten großen Auftritt als Wunderkind im Mozartkostüm (Fasching 1866) gegen den Willen des Vaters zur Musikerlaufbahn. Seine Prioritätensetzung führte zu Schulproblemen an den Gymnasien in Graz (1870), St. Paul im Lavanttal/K (1871) und Marburg an der Drau (1873–75). 1875, nach bestandener Aufnahmeprüfung am Konservatorium der GdM, übertrug der Vater die Obhut über H. seiner in Wien lebenden Schwester Katharina Vinzenzberg, deren Töchter ebenfalls Zöglinge des Konservatoriums waren. W.s hohes Selbstbewusstsein und sein praktizierter Wagnerismus (Rich. Wagner) führten 1877 zu seinem Studienabbruch und zur Einstellung der Förderung durch den Vater. Fortan führte er das freie Leben eines romantischen Künstlers, komponierte Kammermusik, Charakterstücke, Orchesterwerke und v. a. Lieder, unterstützt von einem zuverlässigen Freundeskreis, der ihn bei Bedarf kostenlos wohnen ließ (u. a. 1888–97 oft monatelang bei Familie Werner in Perchtoldsdorf), Schüler zuführte und 1882 zu einer Stelle als Korrepetitor und Kapellmeister am Salzburger Landestheater verhalf. Mängel in der Dirigiertechnik sowie Renitenz führten nach wenigen Monaten zur Kündigung. Die nächste Anstellung, u. zw. als Musikkritiker beim Wiener Salonblatt (1884–87), verdankte W. den Hofjuwelieren Th. und H. Köchert. W. schrieb aggressive, aber dem Trend seines Umfelds folgende Kritiken und zementierte seine Position als Wagnerianer durch Angriffe auf J. Brahms und die sog. Konservativen. Mit dem Tod seines Vaters 1887 endete seine Kritikertätigkeit; er konnte 1888 erste Lieder nach Gedichten von Eduard Mörike edieren. Der Erfolg – v. a. in Deutschland, denn in Wien hatte der freche Ton seiner Kritiken die musikalische Elite beleidigt – war so groß, dass er sich in seinem Schaffen bestätigt fühlte. 1890 unternahm er seine erste Deutschlandreise, wo er u. a. Ludwig Strecker vom Verlag Schott (Mainz) begegnete, der W.s Werke unter Vertrag nahm. Zurückgekehrt nach Wien, schrieb er die Bühnenmusik zu Henrik Ibsens Fest auf Solhaug, ein Auftragswerk des k. k. Hofburgtheaters (Burgtheater), und suchte nach einem Libretto, denn sein Hauptinteresse galt seit der Studienzeit der Oper – die Gedichtvertonungen bewertete er als dramaturgische Vorstudien. Wiener Freunde stellten den Kontakt zur Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Rosa Mayreder her, die 1890 ein Libretto nach Pedro Antonio de Alarcons Novelle Der Dreispitz (El sombrero de tres picos) anbot, das W. vorerst ablehnte. In den 1890er Jahren litt er zunehmend unter quälender Unproduktivität, denn dem Kunstideal der Neudeutschen Schule und v. a. der Genieästhetik verpflichtet, sollten Werke spontan und aus einem Guss, ohne Anwendung „veralteter“ Satztechniken, entstehen. Für W. bedeutete dies, nur dann zu schaffen, wenn ihm die Einfälle ausreichend für jeweils ein Lied erschienen. So komponierte er in klar umgrenzten Schaffensphasen; die schaffensfreie Zeit nutzte er bald für Tourneen nach Deutschland: 1891 wurde unter F. Weingartner Christnacht in Mannheim/D präsentiert, im Frühjahr 1892 fanden W.-Konzerte in Berlin statt, 1894 reiste er mit A. Bruckner nach Berlin. Dort führte Siegfried Ochs die Lieder Feuerreiter und Elfenlied in der Orchesterfassung auf. Eine Wende brachte die Begegnung mit der Sängerin Frieda Zerny: Aus der erfolgreichen Zusammenarbeit wurde eine Beziehung, und W. beabsichtigte, seine Konzerttätigkeit in Deutschland hauptberuflich auszuüben, bis er wieder in den Sog der Wiener Salongesellschaft geriet und den Plan aufgab. Nun akzeptierte er Mayreders Libretto, komponierte 1895, nahezu durchgehend, seine Oper Der Corregidor, die 1896 am Nationaltheater in Mannheim mit Achtungserfolg gegeben wurde. Bei der Probenarbeit zeigten sich Symptome progressiver Paralyse, des Quartärstadiums einer frühen Syphilisinfektion. Nichtsdestoweniger kehrte W. zuversichtlich nach Wien zurück, mietete die erste eigene Wohnung, schrieb die Gesänge nach Michelangelo und begann mit der Vertonung einer weiteren Oper im spanischen Milieu, nämlich von Alarcons Manuel Venegas über ein Libretto von Moritz Hörnes. Einer der neu gewonnenen Freunde, der Ethnologe Michael Haberlandt, gründete im Mai 1897, wie zuvor Freunde in Berlin (1896), einen H.-W.-Verein, dessen Obsorge wenige Monate später mehr der Person W.s als seinem Schaffen gelten sollte, denn im September 1897 manifestierte sich seine Geisteskrankheit in der Behauptung, Direktor der k. k. Hofoper geworden zu sein. Wahnsinnstaten und Aggressionsausbrüche machten eine Behandlung in der Privatklinik Svetlin notwendig. Nach seiner Entlassung 1898 unternahm er in Begleitung seiner Schwester Katharina und seiner Gönnerin M. Köchert eine Reise nach Italien und bezog danach eine neue Wohnung in Wien. Als er am Ende eines Sommerurlaubs am Traunsee (Salzkammergut) seines Zustands gewahr wurde, unternahm er einen Suizidversuch und bat um Unterbringung in der Niederösterreichischen Landesirrenanstalt in Wien IX (ab 1907 „Am Steinhof“, Wien XIV), die er fortan nicht mehr verlassen konnte.

W. präsentierte sich als Prototyp des kompromisslosen romantischen Künstlers. Das Image des „wilden W.“ weckte aber auch das Interesse an seinem Schaffen, das v. a. bezüglich der Handhabung der Harmonik in der Nachfolge Rich. Wagners steht und mit zunehmender künstlerischer Reife die Grenzen der Tonalität erreicht. Neu ist die Sprachvertonung, da er durch pointierte Deklamation den Worten neuen Sinn verlieh und die Singstimme immer wieder instrumental, oftmals als Mittelstimme eines Akkordes, führte. Ein Gutteil der Lieder beruht strukturell auf jeweils einem einzigen Motiv, das durch klangliche Nuancierung, Alterationen, Vorhaltsbildungen, übermäßige Akkorde permanent verfremdet wird. Andere Gedichtvertonungen folgen formal dem traditionellen Lied, allerdings in individueller Gestaltung, ohne Anklänge an Fr. Schubert oder R. Schumann. Alle Gedichtvertonungen sind als kleine, psychologisch angelegte Dramen konzipiert und bedürfen einer professionellen Ausbildung. In seiner vollendeten Oper Der Corregidor distanzierte er sich von Wagner, es finden sich Einflüsse von J. S. Bach und, angeregt durch F. Nietzsche-Lektüre, Georges Bizets Carmen. Die Perfektionierung seines Opernstils gelang infolge des Verlusts der intellektuellen Fähigkeiten nicht, was die Kompositionsversuche der letzten Lebensjahre beweisen. Sein Stil beeindruckte besonders die Zweite Wiener Schule, wobei A. Schönberg, Alban Berg und A. Webern unabhängig voneinander W.s Lieder auf individuelle Weise rezipierten.


Gedenkstätten
Ehrengrab Wr. Zentralfriedhof (s. Abb.); H.-W.-Straße (Innsbruck, Kapfenberg, Linz, Salzburg, St. Pölten); H.-W.-Gasse (Wien VI, Graz III); H.-W.-Weg (Raaba/St, Unterach am Attersee/OÖ); Gedenktafel am Haus Anna-Neumann-Str. 43 in Murau/St.; Gedenktafel am Eingang zum Schloss Gstatt/St; Gedenktafel am Haus Berg-Straße 8 (Salzburg, s. Abb.); Gedenktafel am Haus Jeritza-Straße 36, Unterach (s. Abb.); Marmorporträtbüste im Ehrenhof der Grazer Burg.
Werke
mehr als 250 Lieder nach Mörike, Joseph v. Eichendorff, Johann Wolfgang v. Goethe; Spanisches Liederbuch nach Paul Heyse u. Emanuel Geibel 1889/90; Ital. Liederbuch 1890/91 u. 1896; Drei Gedichte v. Michelangelo 1897; Klaviermusik, Kammermusik, Orchesterwerke: Penthesilea. Sinfonische Dichtung nach Heinrich v. Kleist 1883–85; Christnacht f. Soli, Chor u. Orch. 1886–89; Elfenlied f. Sopransolo, Frauenchor u. Orch. 1889–91; Orchesterfassung v. Der Feuerreiter als Ballade f. Chor u. Orch. 1892; Italienische Serenade 1892; Bühnenwerke: Bühnenmusik zu Ibsens Das Fest auf Solhaug 1890/91; Der Corregidor, Oper in 4 Akten 1895; Manuel Venegas 1897, unvollendet. – NA: H. W., Sämtliche Werke, hg. H. Jancik u. L. Spitzer 1960ff.
Schriften
Vom Sinn der Töne – Briefe u. Kritiken 1991; Briefe an Hugo Faisst, hg. v. M. Haberlandt 1904; Familienbriefe, hg. v. E. Hellmer 1912; Briefe an Oskar Grohe, hg. v. H. Werner 1905; Briefe an Melanie Köchert, hg. v. F. Grasberger 1964; Briefe an Marie Lang, nebst den Briefen an deren Gatten, Joseph Freiherrn von Schey, hg. v. H. Werner 1923; Briefe an Heinrich Potpeschnigg, hg. v. H. Nonveiller 1923; Briefe an Frieda Zerny, hg. v. O. Brusatti u. W. Obermeier 1978.
Literatur
M. Jestremski, H. W.: Skizzen u. Fragmente – Untersuchungen zur Arbeitsweise 2002; M. Saary, Persönlichkeit u. musikdramatische Kreativität H. W.s 1984; F. Walker, H. W. – Eine Biografie 1953.

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
14.8.2023
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Wolf, Hugo“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.8.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e73b
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof© 2021 Monika Kornberger
© 2021 Monika Kornberger
Gedenktafel am Wohnhaus in Salzburg, Berg-Straße 8© Hermann Zwanzger
© Hermann Zwanzger
Gedenktafel in Unterach, Jeritza-Straße 36© Hermann Zwanzger
© Hermann Zwanzger
Ausschnitt aus: Trude Diener-Hillinger, Döblinger Sonnenradl, keramisches Wandrelief (1975) am Gemeindebau ‚Rosa-Alba-Retty-Hof‘, Billrothstraße 42 (Wien XIX)© Björn R. Tammen
© Björn R. Tammen

DOI
10.1553/0x0001e73b
GND
Wolf, Hugo: 118634712
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