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Wien-Film GmbH
Filmstudio, begründet 1938 im Zuge des „Anschlusses“ Österreichs an Hitler-Deutschland und der vom zuständigen Reichsminister Joseph Goebbels verkündeten „Neuordnung des deutschen Films“. Hervorgegangen aus der Verstaatlichung der Tobis-Sascha, bildete die W. zusammen mit der Berliner Terra-Ufa und der Münchener Tobis-Bavaria das Fundament der Filmindustrie des Dritten Reichs (Nationalsozialismus). Das Studio war an die Weisungen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda gebunden und verfügte über keine eigene Distribution. Als Produktionschef der in den Wiener Rosenhügel-Studios situierten W. fungierte der in Wien geborene Regisseur Karl Hartl (1899–1978). Hartl verpflichtete für die Produktionen der W. in erster Linie Regisseure, die in der Tradition der österreichischen Filmgeschichte standen: Géza von Bolváry, Géza von Cziffra, E. W. Emo, Willi Forst, L. Hainisch, Karl Leiter, H. Marischka und Gustav Ucicky. Dem Theaterintendanten Hans Thimig und dem Drehbuchautor Gerhard Menzel wurde darüber hinaus die Möglichkeit gegeben, erstmals in das Fach der Filmregie zu wechseln. Abseits dieses Kreises wurden von der W. auch immer wieder Regisseure der Ufa, Bavaria, Tobis und anderer Produktionsfirmen des „Altreichs“ verpflichtet: Peter Paul Brauer, Erich Engel, Karl Köstlin, Franz Seitz sen. und Robert A. Stemmle. Eine ähnliche Strategie wurde bezüglich der Besetzung von Schauspielerinnen und Schauspielern verfolgt. So kam es wiederholt zu Verträgen etwa mit Willy Fritsch, Heinrich George oder Theo Lingen.

„Wiener Filme“ bildeten das Hauptaugenmerk des Studios: Produktionen, die den Mythos der Stadt Wien in Form ihrer Legenden (Der liebe Augustin [1940]), vor allem aber anhand von Alltagskomödien konstruierten, in erster Linie mit H. Moser als tragendem Akteur (u. a. Anton, der Letzte [1939], Meine Tochter lebt in Wien [1940], Wiener G’schichten [1940], Wir bitten zum Tanz [1941]). Herausragend in diesem Zusammenhang ist W. Forsts Wiener Trilogie (Operette [1940], Wiener Blut [1942] und Wiener Mädeln [1944/49]) zu nennen. Das Genre-Spektrum der W. war jedoch wesentlicher breiter und umfasste Melodramen (Mutterliebe [1939], Der Postmeister [1940], Ein Leben lang [1940], Schicksal [1942], Späte Liebe [1943], Ein Blick zurück [1944], Freunde [1943], Der gebieterische Ruf [1944] und Das Herz muss schweigen [1944]) ebenso wie biographische Produktionen, die der von Berlin ausgegebenen Forderung Folge leisteten, Filme über „große Deutsche“ zu produzieren (Unsterblicher Walzer [1939, über die Strauß-Dynastie], Wen die Götter lieben [1942, über W. A. Mozart], Brüderlein fein [1942, über F. Raimund], Wien 1910 [1943, über Karl Lueger], Schrammeln [1944, über die gleichnamige Familie] und Die goldene Fessel [1944, über J. Nestroy]). Als weiteres typisches Genre des Studios ist der Revuefilm zu nennen, dem in der Spätzeit des Dritten Reichs höchste eskapistische Relevanz zukam (Der weiße Traum [1943], Glück bei Frauen [1944] und Liebe nach Noten [1945]). Die historische Problematik der W. manifestiert sich aber in jenen Produktionen, die eindeutig nationalsozialistische Ideologie vermittelten: Leinen aus Irland (1939), Heimkehr (1941), Liebe ist zollfrei (1941) und Wien 1910. Auch Das Ferienkind (1943) kann hierzu gezählt werden, da dieser Film das Ziel verfolgte, die kriegsbedingten Kinderlandverschickungen komödiantisch-affirmativ zu vermitteln.

Die Produktionen der W. erzielten durchgehend positive Resonanz sowohl seitens des Kinopublikums als auch zunächst des Reichsministers J. Goebbels. Dennoch musste die W. wiederholt auch Rückschläge hinnehmen. So wurden Der Postmeister und Dreimal Hochzeit (1941) nach dem Überfall auf die Sowjetunion aufgrund ihrer russischen Sujets aus dem Verleih genommen und G. Ucickys Am Ende der Welt (1943) nicht mehr zugelassen. Goebbels’ anlässlich dieses Films geäußerte Ansicht, dass „das Wiener Kollektiv“ (...) mehr und mehr in eine falsche Bahn“ gerate (Tagebucheintrag vom 24.10.1943), spiegelt das zunehmende Misstrauen des Ministers hinsichtlich der Regimetreue der W. wider. Generell kann in der politischen Beurteilung des Studios eine fortwährende Ambivalenz aus ideologischer Erfüllung und Subversion festgestellt werden.

Als Besitz des Deutschen Reichs wurde die W. nach dem Kriegsende 1945 teilweise in die USIA (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich) überführt und firmierte seitdem als W. am Rosenhügel. Trotz dieser Weiterverwendung ihres Namens ist die W. in erster Linie als Schöpfung der nationalsozialistischen Kulturpolitik zu begreifen und damit ihr Ende in dieser Form mit dem Untergang des Dritten Reichs anzusetzen. Formal wurde die W. aber erst 1986 aufgelöst.

Bemerkenswert ist die W. nicht zuletzt aufgrund der hervorgehobenen Rolle, die Musik in ihren Produktionen einnahm. Dies war bereits im Logo des Studios vorgegeben, einem Violinschlüssel, der einer Raute eingespannt ist. Zum Ausdruck kam die Betonung des Musikalischen auch im Engagement der Wiener Philharmoniker, die bereits vor dem „Anschluss“ nachweislich zumindest sieben Filmpartituren eingespielt hatten (u.a. für die Tobis-Sascha Filmindustrie AG und die Mondial Internationale Filmindustrie AG). Im Januar 1939 konnte das Orchester für die erste Produktion des Studios (Unsterblicher Walzer) unter Vertrag genommen werden. Dieser Verpflichtung folgte eine regelmäßige Arbeit der Philharmoniker für die W., die nicht nur Spielfilme, sondern auch Kulturfilme umfasste (etwa Augen [1941], Begegnung mit den Pelikanen [1943] und Der eiserne Berg [1943]). Ein von der W. 1941 geplanter Film über die Philharmoniker kam allerdings nicht zustande, immerhin wurde ihr Auftritt in G. Ucickys Der gebieterische Ruf prominent inszeniert (womit das Studio sein Budget erheblich überschritt). Danach war das Orchester für die W. an mehreren sog. „Überläufern“ beteiligt – Filmen, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr fertiggestellt werden konnten und erst in der frühen Nachkriegszeit vollendet und erstaufgeführt wurden wie z. B. die 1944 begonnene Produktion Ulli und Marei, die erst im Mai 1947 vom Orchester eingespielt werden konnte. Gleiches gilt für W. Forsts bei Kriegsende nicht fertiggestellte Wiener Mädeln, deren Produktionsgeschichte sich noch bis 1949 erstrecken sollte.

Eng an die Spielpraxis der Philharmoniker angepasst waren die Orchestrierungen der Filmmusiken der W., die in der Regel von O. Wagner und H. Jelinek verfertigt wurden. Diese wurden zunächst im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses, ab 1940 in der neu errichteten Synchronhalle der Rosenhügel-Studios eingespielt. Bezüglich der musikalischen Ausgestaltung ihrer Produktionen wurde von der W. auf relativ wenige Komponisten zurückgegriffen. Der am Häufigsten beauftragte Komponist des Studios war W. Schmidt-Gentner. Seine Verpflichtung war für die W. zunächst nicht problemlos, da Schmidt-Gentner als „stärkster Gegner des Nationalsozialismus“ klassifiziert wurde und vorläufig unter strikter Beobachtung stand. Dennoch konnte er sich schnell (besonders durch seine regelmäßige Zusammenarbeit mit W. Forst und G. Ucicky) etablieren. Von Schmidt-Gentner stammt auch die Fanfare des Studios (aufbauend auf J. Strauß’ Sohn An der schönen blauen Donau). Nur punktuell engagierte die W. hingegen A. Melichar, dessen Kennzeichen filmmusikalische Adaptionen des klassischen Kanons waren. Das Studio setzte ihn dementsprechend für Unsterblicher Walzer und Wen die Götter lieben ein. Von der W. viel beschäftigt war hingegen A. Profes, der unter den Komponisten der W. die größte Versatilität aufwies. Sein Spektrum umfasste romantische Liebeskomödien (u. a. Sommerliebe [1942], Hundstage [1944]) und nostalgische „Wiener Filme“ (Wir bitten zum Tanz) ebenso wie exotistische Melodramen (Donauschiffer [1940] und Schicksal) und Revuefilme (Der weiße Traum). Weitere Komponisten der W. waren u.a. H. Sandauer, B. Uher, N. Dostal, H. Strecker und H. Lang. Im Wesentlichen für die Filmmusik der Kulturfilmproduktionen der W. tätig waren R. Kattnigg, K. v. Pauspertl und O. Wagner.


Literatur
H. Schrenk, Die Produktion der W.-F. zw. 1939 u. 1945 1984; R. Beckermann/Ch. Blümlinger (Hg.), Ohne Untertitel. Fragmente einer Gesch. des österr. Kinos 1996; A. Loacker (Hg.), Willi Forst. Ein Filmstil aus Wien 2003; K. Trost, Die Wr. Filme der Wien-Film während der NS-Zeit, Dipl.arb. Wien 2008; F. Bono, Willi Forst. Ein filmkritisches Porträt 2010; C. Brecht et al., Professionalist und Propagandist. Der Kameramann und Regisseur Gustav Ucicky 2014; St. Schmidl, The Film Scores of Alois Melichar 2018; St. Schmidl/T. Sijaric in Studia Musicologica Labacensia 5 (2021); W. Guha, Die Gesch. eines österr. Filmunternehmens. Von der Sascha-Film-Fabrik in Pfraumberg in Böhmen zur W.-F. 1976; Recherchen im Zuge des FWF-Einzelprojekts P 30919 Die Wien-Film 1938–1945 (2018–21).

Autor*innen
Stefan Schmidl
Letzte inhaltliche Änderung
5.4.2022
Empfohlene Zitierweise
Stefan Schmidl, Art. „Wien-Film GmbH‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 5.4.2022, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e6e2
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Originales Firmenschild der Wien-Film© Filmarchiv Austria
Bewerbung des Films Der Postmeister (D 1940) in Filmwelt (April 1940) © Privatarchiv Stefan Schmidl
© Privatarchiv Stefan Schmidl