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Underground
Musik der ideologischen Avantgarde einer Gegenkultur (Subkultur). Diese beschreibt eine Teilkultur, die durch die Akzeptanz von bestimmten Merkmalen ihre interne Konsistenz begründet, die allgemeinen kulturellen Werte jedoch nicht ablehnt. Mit den Forschungen des Center of Contemporary Cultural Studies in den 1960er Jahren ist Subkultur mit einer meist jugendlichen kulturellen Form assoziiert, die sich gerade gegen die herrschenden kulturellen Normen richtet denn als eine in die Kultur integrierte Teilkultur. Politischer Widerstand vollziehe sich aus Subkulturen heraus. Abgrenzung nach außen wie innerer Zusammenhalt werden durch Zeichen kommuniziert, die durch Enteignung oder Umbewertung solcher Zeichen entstanden sind, die von der politischen Haltung jener künden, gegen die sich Subkulturen richten. Im emotionalen Schutz der sozialen Akzeptanz nimmt man eine Verinnerlichung der Werte der Subkulturen an. Musik ist dabei ein dominanter Faktor, der ob seiner apragmatischen Bestimmung freier ist für den Transport emotionaler Botschaften. Die zeichendominierte, auf einem modernen Weltbild basierende und z. T. empirisch belegte Sicht weicht sich in den 1980er Jahren über die sounddominierte Techno-Kultur auf: Die Ästhetik des Sound als signalhaft Emotion erregende funktionale Größe erweitert die erzählende/vermittelnde Funktion von Parametern des Mediums Musik – die Funktion der unmittelbar körperlichen Ausdrucks- wie Rezeptionsformen von Pop dringen vor das Verstehen von Botschaften über Zeichen.

Zusätzlich zur emotionalen Bindung prägt die plurale Zugehörigkeit zu mehreren Einstellungsgruppierungen die Auflösung des Terms Subgruppe. Jugendliche gehören nicht mehr nur einer aufklärerisch agierenden Subgruppe an, sie leben unterschiedliche Haltungen und oszillieren zwischen Teilkulturen in einem pluralen Gefüge. Dabei ist die Trennung zwischen der Subkultur und der Kultur, gegen die sie sich wendet, unscharf: Hedonismus ist (wenn auch zuvor nicht ausgeschlossen) die widerständige Kraft dieser gelebten Bewegung, ihr Gelebt-Sein auf mille plateaux. Die Kommerzialisierung der die Subkultur abgrenzenden und identifizierenden Signs und Sounds ist nicht nur eine Verflachung der damit verbundenen Werte im Pop-Business, sondern ihre hackerartig genutzte Distribution.

Dieses Spiel mit den Mechanismen der Pop-Kultur markiert die Übergangsphase von der aufklärerischen Haltung der Subkultur und der gelebten Haltung der hedonistischen Kultur. Nicht eine nach Programm ablaufende Gegenhaltung im Wir, sondern das gelebte hedonistisch bestimmte Ich regelt das Anderssein und bringt Brüche in ein herrschendes System. Das moderne Verständnis von Subkultur mutiert in eines einer subversiven hedonistic culture. Wiederum spielt darin Musik als körperlich erregend erlebtes Stimulans wie als sozioökonomisch basierte politische Realität eine besondere Rolle.

Der Gegenhaltung gemäß ist die U.-Musik explizit im Wort, implizit in surroundings und Gehabe aufklärerisch, sind Sound und Struktur meist von Einfachheit und Rohheit geprägt. Der damit zur expliziten Gegenhaltung wie implizit zu jener durch hedonistisches Verhalten aufwiegelnde Sound – gekoppelt mit ideologischen Inhalten – ist in Generierung wie Rezeption Sache einer intellektuellen (jungen) Schicht.

U. lebt in einer urbanen Szene von Clubs und oftmals selbst verwalteten Veranstaltungslokalen. Ähnlich wie in den USA der späten 1960er Jahre, wo Andy Warhol’s Factory der Gruppe Velvet Underground Heimat bot, wo die process und minimal music in den Nischen von Galerien entstand, ist die Pop-Szene mit der avantgardistischen Kunstszene wechselseitig verwachsen.

Bereits während der Imitationsphase des internationalen Pop entwickelte sich in Wien der frühe Garagen-Punk von Nowaks Kapelle. In den 1980er Jahren machte die Wiener Avantgarde den U. zum Mainstream. „Die guten Kräfte“ der neuen Rockmusik in Österreich verzierten das deutschsprachig gesungene Lied mit elektronischen Arrangements, der rohe Sound des U. wurde – im Trend der Zeit – zum filigranen Klang der neuen Einfachheit. G. Brödl dokumentierte diese die enteigneten Zeichen oftmals internalisierende Szene, die den Club gegen das Neon-Innenstadt-Lokal vertauschte, er war auch ihr gestaltender Teil (K. Ostbahn). Mit den Cosmetics, Minisex , Rosachrom bis hin zur ersten Formation der EAV entwickelt sich eine performance-durchsetzte Pop-Musik. Der Schauspieler und spätere Staatssekretär für Kunst und Medien, F. Morak, mimte damals den Punk.

Nach dem politischen Turn in den 1980er Jahren und der Neubewertung des im faschistischen Europa gebrauchten älpischen Volksliedes (alpenländisches Lied), haben Attwenger mit Rap, der oralen Tageszeitung der ausgegrenzten Schwarzen, und der ruralen Volksmusik, Sprache der ländlichen Kultur, die in der von Urbanität bestimmten europäischen Kultur weitgehend ausgegrenzt war, zwei authentische Haltungen zu einer politischen Gegenhaltung zueinandergeführt (Neue Volksmusik).

In den 1990er Jahren pulsiert wiederum Sound, polarisiert zwischen Gitarrengetöse und elektronischem Experiment. Die Macht des Sounds der Stimme wie die des komprimierten 3-Akkord-Gitarre-Riffs steht für Occidental Blue Harmony Lovers als Wirkungselement des U., Extended Versions (Christof Kurzmann/Helmut Heiland) hingegen spielen mit der Bedeutung des Wortes. Im Duo mit Harald Waiglein (von Bomb Circle) praktiziert Kurzmann fast aufklärerischen lyrischen Folk-Punk. H. Heiland wurde als rechtlich verfolgter Wehrdienstverweigerer zum Märtyrer einer alternativen Szene. Pungent Stench wollten mit ihrem Metall-Punk bloß unterhalten. Ihr U.-Konzept ist aufklärerisch in der Verweigerung der Aufklärung und leitet über in die hedonistische Phase des postmodernen Pop. Bask orientieren sich noch am Gitarre-Riff, spielen dieses aber mit „good sounding“ Keybords und wollen in einer von Technologie geprägten Fortschrittsgläubigkeit zum Bewegen stimulieren, zur Kompensation der Alltagsfrustration in der Euphorie des Miteinander-Spaß-Habens, das die TänzerInnen zu Partizipierenden des Events macht und nicht in der klassischen Situation des Bühnenkonzerts zum passiven Hören degradiert.

Fetisch 69 ist eine Gruppe, die „noisy“ Spiel mit Perfektion betreibt und mit Punk-Gehabe den Art-Anspruch vertritt. Spielstätten dieser Wiener Szene sind das WUK, das B.A.C.H. mit einem Solidaritätskonzert für Heiland (1993), das Flex, die Arena. Fritz Ostermayer (damals Ö3 Musikbox, danach FM4) ist Chronist dieser Szene und zugleich ihr Akteur, nicht nur als Akkordeon-Pattern-Spieler bei Occidental.

Rund um die Linzer Stadtwerkstadt entwickelt (2006) sich eine eigenständige Musikszene (Wipe out, Fuckhead um die Proponenten Didi Bruckmayr, Wolfgang „Fadi“ Dorninger), die Performance und schließlich auch das Theater einbezieht. Die Grazer Szene, mehr am Industrial-Punk orientiert (Schlauch, Schlund), pflegt enge Kooperation mit dieser Linzer Gruppierung.

Ch. Fennesz wechselt von der einen klangdominierten Musik, dem Gitarren-Pop (Maische), zur anderen, der elektronischen Musik. Die Grazer Gruppe 01 (W. Jauk, J. Preininger, Stefan Stastny) verbindet beide Klangwelten mit den aus der Kommunikation strukturierenden Spielweisen des Jazz und ihren Formalisierungen in der Computer-Musik. Interaktion bindet diesen U. in die Medienkunst-Szene ein, die mit Liquid Music in Judenburg ein entsprechendes Festival in der inhaltlichen wie organisatorischen Nähe zur Ars Electronica besitzt; U. berührt hier die Nischen der Kunst.

Zusätzlich zur Imitation internationaler Sub-Kulturen und deren musikalischem U. sowie der Adaption beider zeigt sich ein Österreich-spezifischer subkultureller U. in der Symbiose des (Wiener) Aktionismus mit dem Austro-Pop. Drahdiwaberl (um den bildenden Künstler und Musiker St. Weber) hat inhaltliche und personelle Beziehungen zum Wiener Aktionismus und ist Geburtshelfer von Stars der Austropop-Szene. Falco stammt ursprünglich aus der Trägergruppe dieses österreichischen U.


Literatur
E. Jost in Systematische Musikwissenschaft 1982; G. Brödl, Die guten Kräfte. Neue Rockmusik in Österreich 1982; J. Clarke et al. in St. Hall/T. Jefferson (Hg.), Resistance through Rituals. Youth subcultures in post-war Britain 1993, 9–74; K. Gelder/S. Thornton, The Subcultures Reader 1997; D. Hebdige, Subculture – The Meaning of Style 1979; D. Hebdige in D. Diederichsen et al. (Hg.), Schocker. Stile u. Moden der Subkultur 1983; C. Höller in T. Holert/M. Terkessidis (Hg.), Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollges. 1996; R. Huq in springerin 6/3 (2000); G. Jacob in 17° C 11 (1995).

Autor*innen
Werner Jauk
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Werner Jauk, Art. „Underground‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0007bf1a
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