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Tulln
Bezirkshauptstadt im Zentrum von Niederösterreich am Südufer der Donau (Straßen- und Eisenbahnbrücke), ca. 12.000 Einwohner im Stadtgebiet, ca. 16.000 einschließlich der bis 1972 angegliederten Gemeinden. Auf dem Boden des römischen Kastells Comagena entstanden, wird T. schon 1014 „civitas“ genannt und um 1200 im Nibelungenlied erwähnt.

Die frühesten gesicherten Nachrichten über Musikpflege betreffen die Thurnermeister, die seit 1520 die Wachposten auf dem Turm der Pfarrkirche stellten, mit ihren Gesellen aber auch bei allen festlichen Anlässen musizierten. V. a. hatten sie die Instrumentalpartien bei kirchenmusikalischen Aufführungen an der Pfarrkirche St. Stephan auszuführen. Da die Pfarrkirche bei einem Brand 1752 schwer beschädigt wurde, ist die Pflege der Kirchenmusik erst seit etwa 1756 dokumentiert. Das erhaltene umfangreiche „alte“ Notenarchiv enthält Werke von allen bedeutenden Meistern der Kirchenmusik des 18. und 19. Jh.s. Von den Schulmeistern, die den Dienst des Regens chori zu versehen hatten, soll v. a. Paul Ullmayer (1774–1820) genannt werden, der 60 Jahre hindurch die Kirchenmusik betreute und nicht nur viele Werke anschaffte, sondern auch gewissenhaft alle Aufführungen vermerkte. Aus seinen Eintragungen ist zu ersehen, dass die meisten Messen von J. Haydn noch zu dessen Lebzeiten in T. aufgeführt wurden. Die Chorregenten F. Zant und Wilhelm Palmer (1860–1936) waren auch als Komponisten tätig. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kirchenmusik von Hans Katzenschlager (1908–80; Direktor des T.er Gymnasiums) als Organist und Heinrich Zawichowski (* 1926; Direktor der Sonderschule) als Chordirigent zu beachtlichen Leistungen geführt. Seit 1997 werden (2006) kirchenmusikalische Aufführungen an der Pfarrkirche von Christine Hoffmann organisatorisch betreut.

Berichte über Orgeln in der Pfarrkirche gibt es schon 1445 und wieder 1522. Auf dem 1635 erbauten Musikchor wurde 1746 eine neue Orgel von J. Hencke aufgestellt, die 1872 durch ein Werk des Salzburgers J. N. C. Mauracher ersetzt wurde. Diese Orgel wurde am 19.1.1873 von A. Bruckner überprüft (s. Abb.), der dafür von der Stadt eine silberne Schnupftabakdose erhielt. Eine neue Orgel (mechanische Schleifladenorgel, III/37) wurde 1960 von der Oberösterreichischen Orgelbauanstalt St. Florian errichtet. Die 1990 erbaute neue Pfarrkirche St. Severin besitzt eine Orgel aus der Werkstatt Walker in Guntramsdorf/NÖ (II/15). Sie wird von Wolfgang Zawichowski (* 1952; Prof. an der Pädagogischen Akad. in Krems) betreut. Zwei weitere neue Orgeln ergänzen die vielfältige Tullner Orgellandschaft: die Instrumente in der Minoritenkirche (Fam. Pflüger) und in der evangelischen Kirche (Friedrich Heftner aus Krems).

Der Musikunterricht war bis ins 19. Jh. Aufgabe der Schulmeister, die begabte Knaben für das Singen in der Kirche auszubilden hatten (Sängerknaben), ab 1895 gab es auch Violinunterricht an der Knaben-Bürgerschule, die Thurnermeister und später der Stadtkapellmeister (seit 1867) unterrichteten Blasinstrumente. 1923 begann der T.er Musiklehrer Egon Umlauf (1904–84) eine private MSch. aufzubauen, die 1964 von der Stadtgemeinde übernommen und als „MSch. der Stadt T.“ geführt wird. Namhafte Musiker haben hier ihre Instrumentalistenlaufbahn begonnen, wie der Hornist Hans Fischer, die Cellisten Erwin Resel und Fritz Hiller oder die Klarinettisten Hannes Moser und Erwin Monschein. Direktoren der städtischen MSch. waren nach E. Umlauf (bis 1970) Friedrich Förstel (bis 1976), A. Schnürl (bis 1990), Elisabeth Deutsch (bis 2004) und Karl Hemmelmayer (seit 2004). 2004 unterrichteten 37 Lehrer 817 Schüler in 28 Hauptfächern. Die Musikhauptschule (Dir. Günter Schubert) wurde 1981 von Hauptschuldirektor Hans Sinabell (1928–2004) eingerichtet und wird als vierklassiger Schultyp innerhalb der Hauptschule T. I geführt.

Die musikalischen Aufgaben der Thurnermeister übernahmen ab 1867 die Stadtkapellmeister, die bis 1938 für die Leitung der Stadtkapelle verantwortlich waren. 1959 erfolgte durch E. Umlauf die Neugründung der Stadtkapelle (Obmann Willi Lintner), die unter den Dirigenten Rudolf Hacker und Peter Höckner beachtliche Aktivitäten entfaltete und heute außer der Stammkapelle auch eine Jugendkapelle und ein Junior Wind Orchestra für Kinder unterhält. Ein Gesang- und Orchesterverein bestand schon 1847–53. Der 1864 gegründete Männergesangverein T. wurde 1905 durch einen Frauenchor erweitert, nach dem Zweiten Weltkrieg durch H. Katzenschlager als gemischter Chor reaktiviert und in T.er Gesangverein umbenannt. Vorstände waren Wilhelm Stift (1950–73) und H. Sinabell (1973–98), Chorleiter H. Zawichowski (1954–92). 1992 erfolgte eine Fusion mit einer von Peter Herbist gegründeten Singgemeinschaft zum T.er Gesangverein La Musica (Vorstand Leopold Schimek, Chorleiter P. Herbist). Der A Cappella-Chor T. (Leitung Gottfried Zawichowski, * 1960), gegründet 1980, ist ein junger Chor, der sich vorwiegend barocker und anspruchsvoller zeitgenössischer Chormusik widmet. Das Vokalensemble T. (Dgt. Wolfgang Zawichowski), gegründet 1996, pflegt weltliche und geistliche Vokalmusik. Ein Männerchor (Sängerclub Langenlebarn, Vorstand Erich Knapitsch, Chorleiter Ludwig Fleßl) und ein gemischter Chor (Amici musici, Leitung Anna Streitenberger) wirken in Langenlebarn, das seit 1972 zu Tulln gehört. Der Sängerkreis T. als Dachverband und Teilorganisation des Chorverbandes Niederösterreich (Sängerbund) wird geleitet von L. Schimek (auch stellvertretender Obmann des Chorverbandes), Kreischorleiter ist P. Herbist.

Die Pflege des bodenständigen Volksliedes erfuhr bedeutende Anregungen durch Leopold Bergolth (1906–97), Bezirksschulinspektor für T. und St. Pölten. Die von ihm gegründeten Vokalensembles Bezirkslehrerchor und T.erfelder Dreigesang trugen viel zur Wiederbelebung des Volksliedsingens in der Region bei. Ein kleiner Teil seiner umfangreichen Volksliedsammlung (heute im Niederösterreichischen Volksliedarchiv) wurde 1992 unter dem Titel Lieder aus dem T.erfeld veröffentlicht. Ein bis 1892 bestehender Verein der Musikfreunde wurde 1922 als Orchesterverein der Musikfreunde T. reaktiviert. Mitglieder eines privaten Salonorchesters (Emil Perzi), ehemalige Militärmusiker und Schüler der im gleichen Jahr gegründeten MSch. Umlauf vereinigten sich zu einem großen Orchester, das jährlich zwei gut besuchte Konzerte geben konnte. Der Verein (Vorstand Klaus Josef, Dgt. E. Umlauf) war auch nach dem Zweiten Weltkrieg sehr aktiv, neben der Veranstaltung eigener Konzerte wirkte er auch bei Kirchenaufführungen und Konzerten im ganzen Bezirk mit. Die Vereinstätigkeit wurde 1992 stillgelegt. Ein Mandolinenverein wurde 1923 ins Leben gerufen. Für Musik-Aufführungen stehen der Stadtsaal (Fassungsraum 900 Personen) und ein kleiner Saal im ehemaligen Minoritenkloster („Minoritensaal“, 100 Plätze) zur Verfügung. Auf einer Freiluftbühne an der Donau mit 2.400 Plätzen finden in den Sommermonaten Konzerte und andere Veranstaltungen statt. Ein Büro für kulturelles Management (Geschäftsführer G. Zawichowski) ist regionaler Sitz der Jeunesses musicales und der Musikfabrik Niederösterreich. Zu den zahlreichen Musikaktivitäten G. Zawichowskis zählt die Gründung einer Niederösterreichischen Jazz-Akad. (1989), an der auch A. Kreuzer, heute Lehrer an der MUniv. Wien, maßgeblich beteiligt war. Eine Werkstatt für Cembalobau betreibt Richard Koch.

In T. wirkende oder hier geborene Komponisten waren J. N. Král, F. Zant, F. Großmann, E. Seidl.


Literatur
ÖL 1995; O. Biack/A. Kerschbaumer, Gesch. der Stadt T. 1966; K. Schnürl in [Fs.] 950 Jahrfeier der Pfarre St. Stephan T., 1964; TMA 1 (1964); K. Schnürl in O. Wessely (Hg.), Bruckner-Studien 1975; K. Schnürl in JbÖVw 44 (1995); [Fs.] 40 Jahre MSch. der Stadt T. an der Donau, hg. v. der Stadtgemeinde T. 2005; K. Schnürl et al. (Hg.), Lieder aus dem T.erfeld. Aus der Slg. Leopold Bergolth 1992; H. Sinabell/H. Zawichowski, Der T.er Gesangverein im Wandel der Zeit (Ms.); K. Josef, Der Orchesterverein T. (Ms.); H. Zawichowski, Die Musikerfamilie Zawichowski in T. (Ms.); G. Zawichowski, Der A cappella-Chor T. (Ms.); L. Schimek, Beiträge zum Musikleben in T. (Ms.); Mitt. G. Zawichowski u. Kulturamt der Stadt T.

Autor*innen
Karl Schnürl
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Karl Schnürl, Art. „Tulln‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e51d
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Seite 2 des Briefes von A. Bruckner an den Bürgermeister von Tulln vom 8.10.1873 (O. Wessely [Hg.], Bruckner-Studien 1975, 165)

DOI
10.1553/0x0001e51d
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