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Tschechoslowakei (dtsch.e umgangssprachliche Kurzform für tschechisch Československá republika)
Ehemaliger europäischer Binnenstaat, nördlich und östlich an Österreich grenzend, Hauptstadt: Prag.1918 gegründeter Nachfolgestaat der Habsburger-Monarchie, aus den ehemaligen cisleithanischen Kronländern Böhmen, Mähren, Teilen Schlesiens und der Slowakei (bis 1918 zur ungarischen Reichshälfte gehörend) gebildet. Obwohl nun die Tschechen in Politik und öffentlichem Leben die Führungsrolle übernahmen, gab es weiterhin Landesteile mit großem deutschen Anteil (v. a. in Nordböhmen und Südmähren). Nach dem Münchner Abkommen 1938 wurden die deutschsprachigen Landesteile an das Dritte Reich (Deutschland, Nationalsozialismus) abgetreten (der Rest bildete vom 30.9.1938 bis zur Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren am 16.3.1939 die sog. „Zweite Republik“). Im Mai 1945 wurde die Tschechoslowakische Republik („Dritte Republik“) erneuert und in der Folge die deutschsprachige Bevölkerung enteignet und vertrieben (Beneš-Dekrete), wodurch sich auch das Musikleben entscheidend änderte. Die T. wurde mit 31.12.1992 aufgelöst, sie zerfiel in die selbständigen Staaten Slowakei und Tschechien.

Im Musikschaffen nach 1918 herrschte eine Pluralität der Stilrichtungen. Eine Autorität stellte J. B. Foerster dar, der nach langjährigem Wirken außerhalb der T. in die Heimat zurückgekehrt war, ebenso die zu den Modernisten (Moderne) zählenden V. Novák und Josef Suk. Diese drei beeinflussten als Lehrer am Prager Konservatorium die Generation der Zwischen- und Nachkriegszeit entscheidend. Unter den tschechischen Komponisten bildeten sich zwei Hauptlinien, eine traditionalistische, die als Nachfolgegeneration des Begründers der Nationalmusik (Nationalstil), F. Smetana, angesehen wurde (O. Ostrčil, O. Jeremiáš, Karel Boleslav Jirák, Ladislav Vycpálek, R. Karel u. a.), und eine avantgardistische, die die Impulse der Neuen Musik in ihr eigenes Schaffen integrierte und individuelle Experimente unternahm (v. a. der Kreis um A. Hába). Die Generation der Zwischenkriegszeit trug zu allen Gattungen bei: an erster Stelle standen Lied und Chor, was v. a. mit den Aufführungsmöglichkeiten in den zahlreichen Musikvereinen zusammenhing.

Zu den „klassischen“ Autoren des gegen die großstädtische Zivilisation gerichteten „Tramp“- (bzw. „Lagerfeuer“-)Liedes gehören Jarka Mottl (1900–86) und Jan Korda (1904–86). Zum Genre des Kabarettliedes trugen Jiří Červený (1887–1962), Rudolf A. Dvorský (1899–1966) und v. a. der Schöpfer der sehr beliebten sog. „Altprager Lieder“ Karel Hašler (1879–1941, im KZ ermordet) bei. An die Tradition der Blasmusik des 19. Jh.s (Militärmusikkapellen, F. Kmoch, J. Fučik) knüpfte seit den 1920er Jahren das „volkstümliche Lied“ mit Blasmusik-Begleitung an. Die Polka Škoda lásky von Jaromír Vejvoda (1902–88) wurde zum internationalen Hit (Rosamunde/Roll out the barrels) ebenso wie der Tango Cikánka (Die Zigeunerin /Bohemian Girl) von Karel Vacek (1902–82).

Als Symphoniker profilierte sich v. a. J. Suk, als Opernkomponisten O. Ostrčil, O. Jeremiáš und Jaroslav Křička; das populärste Werk dieser Gattung war in der Zwischenkriegszeit Schwanda der Dudelsackpfeifer von J. Weinberger. Zahlreiche Komponisten (Miroslav Ponc, Jaroslav Ježek, O. Jeremiáš, Iša Krejčí, J. Křička, Emil František Burian, Karel Reiner [1910–79] u. a.) widmeten sich dem Theater; Bühnenmusiken wurden jedoch oft improvisiert, viele Kompositionen sind auch verloren gegangen. Eine wichtige (auch politische) Rolle spielten in den 1930er Jahren die kleinen Theater, wie Osvobozené divadlo [Das entfesselte Theater] mit seinem Hauskomponisten J. Ježek oder das Theater „D“ von E. Fr. Burian. Einflüsse des Jazz sind z. B. im Schaffen von Bohuslav Martinů (der ab 1923 im Ausland lebte) und J. Ježek festzustellen.

Die Musikvereine hatten einen wichtigen Anteil an der Verbreitung und Popularisierung der zeitgenössischen Musik, als Vermittler dienten auch ihre Presseorgane (die tschechischen Zeitschriften Listy Hudební Matice – Tempo, Rytmus, Klíč, die deutsche Der Auftakt usw.). Auf Initiative V. Nováks entstand 1920 der tschechische Verein für moderne Musik (Spolek pro moderní hudbu) , der ab 1922 die tschechoslowakische Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (mit einer deutschen Subsektion) bildete. Ab 1924 wirkte der Verein Přítomnost [Die Gegenwart], der v. a. unter dem Vorsitz A. Hábas (1931–37) seine progressivste Zeit mit einem internationalen modernen Repertoire erlebte. 1932–38 bestand im Rahmen des Vereines der bildenden Künstler Mánes eine Musikgruppe, zu deren Mitgliedern u. a. František Bartoš, Pavel Bořkovec, Václav Holzknecht, J. Ježek, I. Krejčí und als korrespondierendes Mitglied der bereits im Ausland lebende B. Martinů gehörten. Eine spezielle Funktion hatte die bis zum Zweiten Weltkrieg zweisprachige Prager Mozartgemeinde (gegründet 1927), die sich z. B. am Rückkauf der mit dem Prager Aufenthalt W. A. Mozarts verbundenen und nach dem Tod ihres letzten Besitzers an das Salzburger  Mozarteum übergegangenen Villa Bertramka beteiligte. (Nach dem Krieg kam das Objekt an die T.).

Die 1896 gegründete Tschechische Philharmonie musste in den ersten Jahren der T. v. a. ökonomische Probleme bewältigen; 1919–41 wurde sie unter der Leitung von Václav Talich das führende tschechische Orchester. 1923 begann der Tschechoslowakische Rundfunk seine Tätigkeit, zu dessen Verband ebenso ein 1929 gegründetes und bis 1945 von O. Jeremiáš geleitetes symphonisches Orchester gehörte (das heutige Symphonische Orchester des Tschechischen Rundfunks) wie auch der 1930 gegründete Tschechische Gesangschor unter seinem Chormeister Jan Kühn. 1934 wurde das Orchester FOK (Film – Orchester – Konzert) gegründet (die heutigen Prager Symphoniker), dessen wichtigste Periode mit dem 40-jährigen Dirigat (1942–82) von Václav Smetáček verbunden ist. Außerhalb Prags wirkte eine Reihe von im 19. Jh. gegründeten symphonischen bzw. Theaterorchestern, die auch am Konzertleben teilnahmen (u. a. die deutschen Orchester in Karlsbad, Reichenberg, Budweis, ebenso verschiedene Amateurorchester, z. B. die Orchestervereinigung in Prag (Dirigent O. Ostrčil).

In der Zwischenkriegszeit entstanden neue Kammermusikensembles, die an die im 19. Jh. vom Böhmischen Streichquartett gegründete Tradition anknüpften bzw. auch neue Werke propagierten. 1923 wurde das Tschechische Nonett gegründet, das erste ständige Ensemble in dieser Besetzung und Initiator zahlreicher neuer Kompositionen. Renommierte Pianisten waren Jan Heřman (1886–1946), der einarmige Otakar Hollman (1894–1967) und der Klavierpädagoge V. Kurz. Unter den Sängern sind die Altistin Marta Krásová (1901–70), der Bariton Vilém Zítek (1890–1956), die Sopranistin Ada Nordenová (1891–1973), der Bassist Emil Pollert (1877–1935), der Tenor Otakar Mařák (1872–1939) und v. a. die international anerkannte Sopranistin J. Novotná zu nennen.

Die deutschen Komponisten in der T. strebten (in Fortsetzung des Prozesses, der bereits mit der Bewegung der sog. Nationalen Wiedergeburt in der 2. Hälfte des 19. Jh.s begonnen hatte) nach 1918 nach einer Emanzipation ihrer eigenen Musikkultur, die sich im Theater, in Musikvereinen, im Musikschulwesen usw. manifestierte. Zu deren wichtigsten Persönlichkeiten gehörten A. Zemlinsky, 1911–27 Opernchef des Neuen deutschen Theaters in Prag, Fidelio Friedrich Finke (1891–1968), Rektor (1927–1945) der Deutschen Akad. für Musik und darstellende Kunst bzw. ab 1940 des Hochschulinstituts für Musik in Prag, sowie Theodor Veidl (1885–1946) und Hans Krása (1899–1944), alle Träger des Tschechoslowakischen Staatspreises für Oper. Weiters z. B. E. Schulhoff, Schüler A. Schönbergs, V. Ullmann, dessen Oper Der Sturz des Antichrist (1935) mit dem E. Hertzka-Preis ausgezeichet wurde (Krása, Schulhoff und Ullmann wurden Opfer der nazionalsozialistischen Rassengesetze).

Im sudetendeutschen Gebiet stand der Bezirk Reichenberg an der ersten Stelle des Musiklebens. Eine seiner führenden Persönlichkeiten war Fidelio Finke d. Ä. (1860–1940), der 1900 ein R. Wagner-Orchester gründete. In Leitmeritz wurde 1929 eine Brucknergemeinde ins Leben gerufen, die 1930 ihr erstes Festival veranstaltete. Die deutschen Gesangvereine waren in einem eigenen Sängerkreis des Deutschen Sängerbundes zusammengefasst. Nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland fanden viele Emigranten (Exil) in T. ein vorläufiges Asyl und versuchten, ihre Tätigkeit hier weiter zu führen. So wurde 1934 auf Initiative des aus Deutschland emigrierten Leo Kestenberg in Prag die Internationale Gesellschaft für Musikerziehung gegründet, derer erster Kongress 1936 hier stattfand.

Für das reiche deutsche Vereinsleben der Zwischenkriegszeit bedeutete der Anschluss an das Dritte Reich keineswegs einen Aufschwung, da es zu Gleichschaltungen und Zusammenlegungen kam und zahlreiche Funktionäre und Künstler durch solche aus dem „Altreich“ ersetzt wurden. Das tschechische Vereinsleben versuchte trotz der politischen Zensur via Musik vaterländisches Denken zu konservieren und transportieren. Zu Ende der 1930er Jahre und im Protektorat reagierten einige Komponisten (z. B. V. Novák, Miloslav Kabeláč) auf die politische Situation, indem sie als nationale Symbole verstandene Motive verwendeten (den St. Wenzels-Choral, hussitische hussitische Lieder etc.).

Die germanisierende Tendenz des Protektorats Böhmen und Mähren rief nach anfänglicher Resignation eine Opposition hervor, die sich auch im Kulturleben zeigte. Der Dirigent V. Talich organisierte bereits 1939 gegen die Deutsche Musikwoche den Prager Musikmai (später Tschechischer Musikmai). Der tschechische Widerstand kam u. a. auch 1941 zum Ausdruck, als die tschechische Protektorats-Regierung den Prager Mozartfeiern der deutschen Besatzer die Feier des Jubiläums A. Dvořáks gegenüber stellte, oder 1944, als das Smetana-Jahr gefeiert wurde. Das Neue deutsche Theater, das den Nationalsozialisten als „verjudet“ galt, musste seine Tätigkeit im September 1938 einstellen. Zu seinen führenden hatten der Bariton Josef Hagen (1866–1967), die Sopranistin H. Konetzni, der Bassbariton H. Hotter, die Sopranistinnen Lydia Kindermann (1891–1954) und R. Pauly gezählt. Das Gebäude wurde 1939 in Deutsches Opernhaus umbenannt, diente jedoch nur für politische Versammlungen, Gastspiele und 1943/44 als Asyl für die Duisburger Oper, deren Haus durch Bomben zerstört worden war. 1939 wurde auf Befehl von Josef Goebbels das Deutsche Philharmonische Orchester unter Joseph Keilberth gegründet, das nach 1945 den Kern der Bamberger Symphoniker bildete.

Ein singuläres Phänomen stellt das Musikleben im KZ Theresienstadt (Terezín) dar. Dort entwickelte sich 1942–45 ein vielfältiges Kulturleben mit den Komponisten Gideon Klein (1919–45), H. Krása, K. Reiner, V. Ullmann, P. Haas, den Dirigenten Karel Ančerl (1928–73), Rafael Schächter (1905–44) und dem Sänger Karel Berman (1919–95).

Zu bedeutenden Änderungen kam es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur im Schulwesen (aus der Meisterschule des Prager Konservatoriums entstand 1946 die Akademie der musischen Künste, es wurde das Konservatorium in Pilsen gegründet) – im selben Jahre fand auch das erste Mal das Musikfestival Prager Frühling statt. Als Zentrum für die schöpferischen und organisatorischen Fragen des Musiklebens wurde 1946 das Syndikat der Komponisten, Musikwissenschaftler und -kritiker gegründet (ab 1949 als kommunistisch ausgerichteter Verband der tschechoslowakischen Komponisten). Alle Bereiche des Kulturlebens wurden zunehmend zentralisiert.

Die bis 1945 deutschen Theater (in Reichenberg und Aussig an der Elbe, in Prag das Ständetheater und das ehemalige Neue deutsche Theater) und andere Spielstätten wechselten den Besitzer, und es wurde die erste Etappe der Verstaatlichung realisiert (z. B. bezüglich der Tschechischen Philharmonie). Auch die Theater in Mähren, d. h. in Troppau unter deutscher Verwaltung, die Theater von Brünn (Nationaltheater, ab 1931 Landestheater, seit 1948 Staatstheater) und Ostrau wurden von Tschechen übernommen. Die Gattungen bzw. Genres Operette, Revue, Salonmusik umgewandelt war, die, im Gegensatz zu den regionalen Musikagenturen, ausschließlich für die Kontakte mit dem Ausland zuständig war. usw. waren bereits von der linksorientierten Kulturlinie in der Zwischenkriegszeit als „dekadent“ bezeichnet worden, für die Ästhetik des sozialistischen Realismus in der Nachkriegszeit galten sie als ideologisch schädlich. Nach 1945 wurde eine ganze Reihe von Operettenensembles aufgelöst, das neue Operettenschaffen hatte der sozialistischen Propaganda zu dienen.

Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 wurde das gesamte Kulturgeschehen der aus der UdSSR diktierten Ideologie untergeordnet. So endete z. B. die kurze Tätigkeit der im Gebäude des ehemaligen Neuen deutschen Theaters wirkenden Oper des 5. Mai (1945–48), deren Direktor A. Hába war, und an der progressive Persönlichkeiten wie der Bühnenbildner Josef Svoboda, der Regisseur Alfred Radok u. a. ihre Karriere begonnen hatten. 1948 wurde die Musik- und artistische Zentrale gegründet (1962 in die Monopolagentur Pragokoncert umgewaldent), die, im Gegensatz zu den regionalen Musikagenturen, ausschließlich für die Kontakte mit dem Ausland zuständig war. Es folgte die Periode des so genannten „Tauwetters“ (nach 1956) bis in die 1960er Jahre, in der der Versuch eines reformierten Kommunismus unternommen wurde. Von besonderer Bedeutung waren die kleinen Theater, die in den 1960er Jahren in großer Zahl entstanden. Das bedeutendste war das 1959 gegründete Semafor, an dem das Autorenpaar Jiří Suchý (Texte) und Jiří Šlitr (Musik, 1924–69) wirkte.

Der sog. sozialistische Realismus propagierte v. a. die Vokalmusik (Chöre bzw. Massenlieder, Kantaten): Václav Dobiáš, Josef Stanislav, Jan Seidel, Radim Drejsl u. a. Nach 1957 begann sich das nach der Ideologie ausgerichtete Schaffen auf verschiedene Arten zu profilieren. Es gab die „Traditionalisten“ (Jiří Pauer, Viktor Kalabis, Jindřich Feld), weiters Komponisten, die widersprüchliche Etappen in ihrem Schaffen aufweisen (Zbyněk Vostřák, Jan Kapr, Vladimír Sommer), Komponisten mit kontinuierlicher Entwicklung, die jedoch nicht immer im Einklang mit der politischen Richtung der 1950er Jahre standen (Miloslav Kabeláč, Jaroslav Doubrava, Klement Slavický, Oldřich F. Korte, Petr Eben). Zu Ende der 1950er Jahre konnten die tschechischen Komponisten zum ersten Mal die Sommerkurse der Neuen Musik in Darmstadt/D besuchen und deren Impulse für ihr eigenes Schaffen verwenden. Unter dem Einfluss der Neuen Musik komponierten u. a. Petr Kotík, Zbyněk Vostřák, Marek Kopelent, Jan Klusák, Ladislav Kupkovič, Rudolf Komorous. 1959 wurde in Pilsen das erste Studio für elektronische Musik in der T. gegründet. Eine ganze Generation von Komponisten verlieh der tschechischen Film- und Fernsehmusik einen speziellen Charakter (Julius Kalaš, Jiří Srnka, Václav Trojan, Štěpán Lucký, Zdeněk Liška, später Svatopluk Havelka, Otmar Mácha, Luboš Fišer).

Eine besondere Funktion bekam die von der Propaganda unterstützte Folklore (Volksmusik): 1951 wurden alle bisherigen diesbezüglichen Vereine und Organisationen aufgelöst, es wurde die sog. völkische künstlerische Kreativität unterstützt, die vom 1951 gegründeten Zentralhaus der völkischen künstlerischen Kreativität (durch Wettbewerbe, Festivals usw.) koordiniert wurde.

Nach dem Krieg trat an die Stelle der nicht mehr existierenden deutschen Orchester eine große Zahl von neu gegründeten tschechischen Orchestern bzw. wurden die deutschen tschechisiert (Karlsbad, Marienbad, Teplitz, Königgrätz, Pilsen usw.), 1951 wurde das Prager Kammerorchester gegründet. Bereits während des Krieges war bei der tschechoslowakischen Legion in der UdSSR das Künstlerische Militär-Ensemble gegründet worden, das nach dem Krieg den Namen seines Gründers, Vít Nejedlý, trug. 1953–56 bestand in seinem Rahmen auch die Militär-Oper. Das Ensemble wurde 1992 aufgelöst, und seine Mitglieder gründeten die Prager Kammerphilharmonie. 1948 wurde das Tschechoslowakische staatliche Lied- und Tanzensemble gegründet, das v. a. die Folkloretradition pflegen sollte (als solches gastierte es regelmäßig bei den Internationalen Jugendfestivals). Seit 1990 tritt es in kleiner Besetzung unter dem Namen Tschechisches Lied- und Tanzensemble auf. Obwohl die Kammermusik der sozialistischen Ästhetik der Nachkriegszeit (als „formalistisch“) nicht entsprach, entstanden paradoxer Weise eben in dieser Zeit viele neue Kammerensembles, die viele Jahre als guter „Exportartikel“ dienten: 1945 das Smetana Quartett und das Hába- (später Novák-)Quartett, das Dvořák Quartett, 1955 das Quartett der Hauptstadt Prag, 1957 das Prager Trio. Die Aufführung Neuer Musik machtensich das 1958 vom Dirigenten Libor Pešek gegründete Ensemble Kammerharmonie oder die auf Initiative von P. Kotík entstandene Musica viva Pragensis zur Aufgabe, ebenso das Ensemble Due Boemi di Praga. Unter den Solisten der Nachkriegszeit erlangten v. a. der Violinist J. Suk, der Pianist Ivan Moravec, die Sopranistin Gabriela Beňačková-Čáp und die Dirigenten Karel Ančerl, Zdeněk Košler und V. Neumann internationales Renommée.

Der Jazz, vom Nationalsozialismus als „entartet“ bezeichnet, setzte sich in der T. gewissermaßen als Musik des Protestes durch, und paradoxerweise entstanden gerade in den späten 1930er Jahren und im Protektorat die ersten tschechischen Swing Bands. Zu den Pionieren des Jazz in der T. gehörten Karel Vlach (1911–86), Kamil Běhounek (1916–83), Arnošt Kavka (1917–94), Sláva Eman Nováček (1911–79), Bobek Bryen (eig. Ladislav Bobek, 1911–83), K. Krautgartner. Als erste tschechische Swingsängerin gilt Inka Zemánková (1925?–2000). Zu den führenden Persönlichkeiten des tschechischen Jazz gehörten auch der Komponist, Kontrabassist und erste tschechische Vibraphonist Jan Hammer (1925–89), unter den Instrumentalisten und Komponisten sind weiter der Kontrabassist Luděk Hulan (1929–79) und der Vibraphonist Karel Velebný (1931–89), unter den Sängerinnen Vlasta Průchová (1926–2006) zu nennen.

Zu Ende der 1950er Jahre wurde der sog. Revival populär (z. B. die Ensembles Traditional Jazz Studio, Prager Dixieland, Steamboat Stompers, Metropolitan Jazz Band). 1964 fand in Prag das erste Internationale Jazzfestival statt, seine Tradition wurde nach der sowjetischen Besatzung 1968 unter die Kontrolle der Zensur gestellt und ab 1972 von der staatlich gelenkten Agentur Pragokoncert organisiert. Von Bedeutung waren auch regionale Jazzfestivals in Prerau (Přerov), Kremsier, Schlan (Slaný) usw.

Auch die Entwicklung der Popmusik spiegelte die politischen Verhältnisse wider, so wurde in den 1950er und erneut in den 1970er Jahren die Proportion zwischen der original tschechischen Produktion bzw. jener der „sozialistischen“ Länder und dem Import aus dem Westen genau beobachtet. In der Popmusik erreichte v. a. der Sänger Karel Gott (1939–2019) internationale Anerkennung. Der Einfluss des Rock ’n’ Roll, der Country Musik usw. konnte staatlicherseits nicht verhindert werden. In den 1960er Jahren entstand die tschechische Variante des Folk und der tschechische Big Beat bzw. Underground, die nach der sowjetischen Okkupation eine politische Rolle spielten (der Sänger und Komponist Karel Kryl, die Gruppe The Plastic People of the Universe u. a.).

Nach der sowjetischen Besetzung 1968 stand das kulturelle Leben in der T. wieder unter dem direkten Einfluss Moskaus (der sog. Normalisierung). Nach der sog. samtenen Revolution 1989 wurde das kulturelle Leben umstrukturiert und auf die Prinzipien der freien Marktwirtschaft ausgerichtet.

Mit der Gründung eines eigenständigen Staates kam es auch auf dem Gebiet der Musikwissenschaft zu einem Ausbau der akademischen Ausbildung. An der Prager Tschechischen Univ. wurde ab 1919 ein eigenständiger Lehrstuhl für Musikwissenschaft errichtet (Zdeněk Nejedlý), an der Deutschen Univ. unterrichteten die G. Adler-Schüler H. Rietsch und P. Nettl bzw. Gustav Becking. 1920 wurde auch an der Masaryk-Univ. in Brünn ein Lehrstuhl für Musikwissenschaft errichtet (V. Helfert), 1950 an der Palacký-Univ. in Olmütz.


Literatur
Československý hudební slovník, 2 Bde. (1963/1965); Československá vlastivěda IX/3 (1971); Dějiny české hudební kultury 1890–1945, 2 Bde., 1975/1981; Hudba v českých dějinách 1989; V. Helfert, Česká moderní hudba 1936; V. Helfert/ E. Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik 21938; J. Kotek/J. Hořec, Kronika české synkopy I. (1903–1938) 1975; II. (1939–1961) 1990; J. Ludvová, in: Uměnovědné studie 4 (1983); J. Kotek, Od rejdováku k rocku. Historie české populární hudby v kostce 1989; J. Havlík, Česká symfonie 1945–1980, 1989; A. Matzner/I. Poledňák/I. Wasserberger, Encyklopedie jazzu a moderní populární hudby 1980/1990; M. Kuna, Hudba na hranici života 1990; J. Bártová, Jan Kapr 1994; A. Burešová, Pavel Bořkovec 1994; J. Kotek, Dějiny české populární hudby a zpěvu 19. a 20. století, 2 Bde. 1998; M. Kabeláč 1908–1979, in Hudební věda 36 (1999); J. Pilka, Viktor Kalabis 1999; LdM 2000; A. Jakubcová/J. Ludvová/V. Maidl (Hg.), Deutschsprachiges Theater in Prag 2001; L. Dorůžka, Český jazz mezi tanky a klíči 1968–1989, 2002; M. Šulc, Česká operetní kronika 2002; J. Pilka / A. Matzner, Česká filmová hudba 2002; B. Červinková, Hans Krása 2003; J. Bajgarová, in Hudební věda 41 (2004); I. Poledňák, Vášeň rozumu. Skladatel Jan Klusák 2004.

Autor*innen
Vlasta Reittererová
Hubert Reitterer
Elisabeth Th. Hilscher
Letzte inhaltliche Änderung
15.10.2016
Empfohlene Zitierweise
Vlasta Reittererová/Hubert Reitterer/Elisabeth Th. Hilscher, Art. „Tschechoslowakei (dtsch.e umgangssprachliche Kurzform für tschechisch Československá republika)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.10.2016, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e516
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


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10.1553/0x0001e516
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