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Parodie
Veränderung von Musikstücken, um mit dem geänderten Inhalt wieder neue Nutzungsmöglichkeiten zu erreichen (von griech. παρά = entlang, ωδή = Gesang); bei bloßer Neu- oder Umtextierung korrespondierend mit „Kontrafaktur“ (= lat. „Dagegen-Gemachtes“, z. B. deutsch Maidleich pluem der jugkfraw kron nach lat. Uterus virgineus durch den Mönch von Salzburg). Der Begriff wird jedoch nicht nur gerne auf alle Arten von Musik ausgeweitet, sondern auch auf andere Bereiche (z. B. Dichtung, Theater) übertragen. Mit solchen, jedenfalls schöpferischen Veränderungen können gewisse Eingriffe in die Vorlage (daher fließender Übergang zur „Bearbeitung“) und kann (muss aber nicht) eine Verschiebung der Bedeutungsebene verbunden sein, z. B. geistlicher Text zu einem ursprünglich weltlichen Lied (O Welt statt Innsbruck ich muß dich lassen), von ernsten Inhalten zu heiteren, von einem unterhaltenden zu einem moralisierenden, vom Singspiel zum Volkslied (Ein Mädchen oder Weibchen aus W. A. Mozarts Zauberflöte zu Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit) usw. Die allfällige Veränderung der „Inhaltshöhe“ ist grundsätzlich in alle Richtungen möglich (z. B. O Maria / Zillertal, du bist mein Freud’, Zu Mantua in Banden / Dem Morgenrot entgegen, die Umtextierung eines italienischen Liebesliedes von Giulio Caccini auf der Basis des Schmerzes in ein lateinisches Passionslied in Kremsmünster, um 1630). Das heutige (2004) Trivialverständnis von P., das ausschließlich von einem abwertenden Verhältnis (von hehren zu niedrigen Inhalten) ausgeht, wird den Gegebenheiten also nicht gerecht und entspricht lediglich dem quantitativ überwiegenden Gebrauch in jüngerer Zeit: v. a. der Übertragungen des P.-Prinzips auf literarische Formen (z. B. A. Blumauers Aeneis nach Vergil, insbesondere die übertreibende Nachahmung von bestimmten Vorlagen zur Erzielung von komischen [= Travestie] oder kritischen Wirkungen [= Satire]) und nicht zuletzt der theatralischen Gattungen (Opernparodie, z. B. F. Mögele, m. Abb.).

Aufgrund der damit verbundenen Möglichkeiten einer Ventilfunktion und von Kritik kann die Rolle von P.n für das österreichische Volkstheater seit dem frühen 18. Jh. (J. Stranitzky, J. F. v. Kurz, Ph. Hafner, J. Kringsteiner, A. Bäuerle, J. Nestroy, W. Müller, K. Meisl u. v. a. [z. B. des Letzteren Othellerl, der Mohr von Wien, 1823]), für die Wiener Operette (z. B. A. Müllers Die schwarze Frau nach François-Adrien Boieldieus Weiße Dame, 1826), das Wienerlied (z. B. ’s Herz von an echten Weana nach einem Walzer von J. Schrammel) und das Kabarett nicht überschätzt werden, selbst ihre Rolle für gewisse Eigenheiten jüngerer österreichischer Komponisten, die sich in Humor keineswegs erschöpfen (z. B. H. K. Grubers Frankenstein!! 1976/77, O. M. Zykans Staatsoperette, 1976/77, F. Cerhas Keintaten 1981–85).

Zur musikwissenschaftlichen Gattungsbestimmung war das Wort P. für die sog. P.-Messe (besonders 16. Jh., Messe) geworden, in der ein vollständiger mehrstimmiger Satz einer eigenen oder fremden Motette, eines Lieds o. ä. als Ausgangspunkt für alle Mess-Sätze (Zyklus) diente, aus der Umformung eines bereits vorliegenden Werks also ein neues wurde, das lediglich umfangreicher ist und grundsätzlich vergleichbare Seriosität besitzt (bei den vielen L’homme armé-Messen seit der 2. Hälfte des 15. Jh.s könnte man sogar von einem zweifachen P.-Vorgang sprechen). In der selbstverständlichsten Weise liegt Kontrafaktur z. B. bei der Wiederverwendung eigener Opern-Arien in neuen Werken oder in Pasticci verschiedener Autoren vor. Als P.n anzusehen sind, wenn z. B. J. Haydn eine eigene Opernarie für einen Abschnitt einer Mess-Komposition wieder verwendete (Benedictus der Mariazeller Messe, 1782, nach einer Arie ausIl mondo della luna, 1777), W. A. Mozart die Fragmente seiner c-Moll-Messe KV 417a=427 für die Kantate Davidde penitente KV 469 verwendete oder wenn aus Johann Heinrich Rolles Singspiel Abel eine Adventode gemacht wurde. Wenn sodann durch Fremde aus einzelnen Sätzen der Schöpfung von J. Haydn Messen zusammengestellt wurden (z. B. durch M. Pernsteiner, W. Wawra), sollte man wegen der obgenannten spezifischen Wortbedeutung nicht von P.-Messen sprechen (die dafür denkbare Alternative „Kontrafaktur“-Messe ist allerdings derzeit nicht gebräuchlich). Außerdem kann nicht jegliche Nachahmung von Vorbildern (z. B. die Ordnung von gleichartigen Sätzen nach Tonarten, wie J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier) oder gar nur Anlehnung an solche (z. B. Fugen mit Anspielungen der Themenköpfe an Namen, wie B-A-C-H, B-E-D-A etc.) als P. bezeichnet werden. Nicht selten sind auch Zitate parodistisch motiviert; eine noch größere Rolle spielt P. als inhaltliches (hier tatsächlich v. a. komisches, d. h. die Bedeutungsebene verlassendes) Ziel im Quodlibet. Sachlich durch P. nicht voll erfasst werden auch, vielmehr in die Nähe der Neuschöpfung mittels Variation führen schließlich Ableitungen, wie z. B. die des Kirchenlieds Christ ist erstanden aus der Sequenz Victimae paschali laudes bereits im 12. Jh. Da schließlich die Nachahmung (imitatio) von geeigneten Vorbildern traditionellerweise zu den Ausbildungs-Prinzipien von Künstlern gehörte, dürfte ein gewisser Teil von P.n als solche noch durchaus unerkannt sein. Außerdem sind die Grenzen zu einer Reihe anderer Kategorisierungen notgedrungen fließend.


Literatur
Riemann 1967; MGG 7 (1997); M. Heise, Zum Wesen und Begriff der P.messen des 16. Jh.s, Diss. Innsbruck 1956; K. Schnürl in [Fs.] E. Schenk 1962; W. E. Yates et al. (Hg.), From Perinet to Jelinek. Viennese Theatre in its Political and Intellectual Context 2001; O. Rommel, Ein Jh. Alt-Wr. P. 1930; O. Rommel, Die Alt-Wr. Volkskomödie 1952; N. Schwindt-Gross in Mf 41 (1988).

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Parodie‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dc56
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