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Orgelmusik
Die für Pfeifenklaviere, d. h. mit einer Tastatur versehene Aerophone (Orgelbau), bestimmte oder darauf produzierte Musik. Sie weist in mehrerer Hinsicht v. a. in früherer Zeit unscharfe Grenzen auf: Gerade im südlichen deutschen Sprachraum überschneidet sie sich bis in das 17. Jh. hinein zu einem erheblichen Teil mit der Musik für Saitenklaviere (Klaviermusik). Weiterhin bestand das Repertoire (Organisten) bis zum 16. Jh. vielfach aus (intavolierten) Vokalwerken (Tabulatur). Schließlich war das Orgelspiel zunächst auschließlich und lange Zeit ganz überwiegend schriftlose (Stegreif-)Praxis. Auch neben der sich nach und nach immer reicher entfaltenden schriftlich konzipierten bzw. komponierten O. behielt die Improvisation auf der Orgel nicht zuletzt aus praktischen Gründen der Liturgie wie vielleicht bei keinem anderen Instrument einen wichtigen Stellenwert.

Die Nachrichten von Orgelbauten in Klöstern, größeren, vielfach aber auch kleineren Städten setzen mit stetig wachsender Häufigkeit in Österreich wie im übrigen Europa im 14. und 15. Jh. ein (vereinzelte Belege für das Erzbistum Salzburgangeblich bereits aus dem 13. Jh.). Zur selben Zeit differenzierten sich die „große“ Kirchenorgel und kleinere, auch in der profanen Musikpflege verwendbare Instrumententypen wie Positiv und Portativ aus. Auf die zunehmende Verbreitung und Bedeutung von O. ab dem 14. Jh. weist ferner hin, dass damals die Überlieferung der Namen von Organisten beginnt, zunächst im monastischen und städtisch-klerikalen Bereich, schließlich auch an den Höfen (die ersten kaiserlichen Hoforganisten werden 1444 und 1467 erwähnt).

Einige wenige Orgelsätze in Handschriften des 15. Jh.s (A-M 689, olim 775, sog. Melker Fragmente; A-Wn 3617, aus der Abtei Mondsee; A-Wn 5094, möglicherweise aus dem Wiener Dorotheerkloster) fügen sich in das gesamteuropäische Bild, das sich v. a. aus den großen Sammlungen des Codex Faenza (Italien, Anfang 15. Jh.) und des Buxheimer Orgelbuchs (Süddeutschand, um 1460/70) ergibt. In erster Linie enthalten diese Quellen Einrichtungen von Vokalwerken sowie mehrstimmige Bearbeitungen vorwiegend liturgischer Gesänge, gelegentlich auch weltlicher, insbesondere von Tanzmelodien. Eine wahrscheinlich entwicklungsgeschichtlich frühere, jedenfalls eine elementare Improvisationspraxis widerspiegelnde Faktur verbindet eine lang mensurierte, allenfalls c. f.-tragende Unterstimme und eine bewegtere, oft aus stereotypen ornamentalen Floskeln zusammengesetzte Oberstimme. In einem fortgeschritteneren Stadium wird zu drei und mehr Stimmen übergegangen (bei Intavolierungen daher das Original nicht mehr auf ein zweistimmiges Gerüst reduziert), u. U. die Kolorierung differenzierter eingesetzt und insgesamt ein homogenerer Satz erreicht.

Festzuhalten ist, dass die Kunst des P. Hofhaimer auf einer offenbar bereits breiten O.-Tradition beruht. Dass von diesem schon zu Lebzeiten hochgerühmten, als Lehrer weit ausstrahlenden Virtuosen nur wenige Orgelstücke erhalten sind, zeigt an, dass O. nach wie vor das Produkt einer improvisatorischen Spielpraxis war. Zugleich näherte sich das Orgelspiel in der Hofhaimer-Schule, dessen Grundlagen ca. 1520 im Fundamentbuch von Hans Buchner (Meister Hans v. Constantz; 1483–1538) dargestellt wurden, weiter dem artifziellen vokalpolyphonen Tonsatz an: Die Imitationstechnik greift Platz, die c. f.-Behandlung wird komplexer, die Kolorierung erfolgt nicht mehr nur schematisch im Diskant und die Unterstimmen wandeln sich von bloßen Haltetonfolgen in durchgebildete profilierte Stimmzüge.

Die zentralen Quellen der O. im deutschen Sprachraum des 16. Jh.s sind sog. Tabulaturbücher. Sie überliefern zum allergrößten Teil Einrichtungen von Vokalkompositionen und – v. a. in der 2. Jh.hälfte – Tänze, deren schlichter akkordischer Satz ebenfalls auf den Hintergrund einer usuell-schriftlosen Praxis verweist. Schließlich kommen fallweise freie Spielstücke (Präambeln, „Carmina“ u. ä) hinzu. Die vordem in der dokumentierten O. so häufigen, der liturgischen alternatim-Praxis dienenden Verarbeitungen choraler c. f. treten ganz zurück. In erster Linie stammen die – in der 2. Jh.hälfte auch gedruckten – Tabulaturbücher aus Deutschland. Zumal die von Angehörigen der Hofhaimer-Schule wie Hans Kotter (Straßburg oder Freiburg i. Br. 1513ff) und Fridolin Sicher (St. Gallen ca. 1525) redigierten bzw. herausgegebenen Sammlungen bringen freilich u. a. Motetten und Gesellschaftslieder von in Österreich wirkenden Komponisten (H. Isaac, Hofhaimer, W. Grefinger). Als früheste bekannte Quelle der als neuere deutsche Orgeltabulatur bezeichneten, nur Buchstaben verwendenden Notation ist eine im Klagenfurter Landesarchiv aufbewahrte Handschrift bedeutsam (ca. 1560; Herkunft unbekannt). Dass die Intavolierungspraxis um 1600 ein Ende fand, ist nicht bloß auf das Vorliegen eines immer größer werdenden Repertoires an genuiner komponierter O. zurückzuführen. Vielmehr ließ sich Vokalmusik im neuen monodischen bzw. konzertierenden Stil nicht mehr (adäquat) auf ein Tasteninstrument transferieren. Zwei große, anfangs des 17. Jh.s entstandene Handschriften aus Österreich zählen zu den letzten Vertretern des Tabulaturbuchs: die sog. Linzer Orgeltabulatur (A-Lla; 1611–13; P. Peuerl) mit mehr als 100 Sätzen, ganz überwiegend Tänzen, und der Codex A-Wm XIV/714 (um 1630), deren bunter Inhalt hauptsächlich noch aus Einrichtungen von geistlichen Vokalwerken besteht; ebenso die aus Bad Reichenhall/D stammende Kremsmünsterer Orgeltabulatur L9 (1604–06).

Entscheidende Bedeutung kommt dem 16. Jh. insofern zu, als nach und nach schriftlich fixierte bzw. komponierte Formen der O. ausgebildet wurden, die sich als fest umrissene Gattungen der artifiziellen Kunstmusik etablieren konnten. Das nicht nur für Österreich bestimmende Zentrum dieser Entwicklung war Venedig. Durch die Tätigkeit insbesondere der vormaligen Markusdom-Organisten J. Buus und A. Padovano am Wiener bzw. Grazer Hof hatte der österreichische Raum schon relativ bald Anschluss an diese Tendenzen gefunden. Um 1600 wirkte dann in Österreich mit H. L. und J. Hassler, Ch. Luython, K. v. d. Houven, F. Turini und L. Zanchi eine ganze Reihe von Organisten, die zu einem Großteil direkt in Venedig ausgebildet waren und deren Schaffen den aktuellen Entwicklungsstand venezianischer O. repräsentiert. Von den hier gepflegten Gattungen war zumal das zunächst noch variabel besetzbare, spätestens bei A. Gabrieli aber für Tasteninstrument bestimmte imitierende Ricercar (insbesondere im süddeutschen Sprachraum begegnen dafür auch die Termini „Fuga“ und „Fantasia“) zu einer anspruchsvollen Kompositionsform des „gelehrten“ Kontrapunkts geworden. Die auf Klang bzw. Akkord und rascher Figuration bzw. Laufwerk als Basiselementen beruhende Faktur der Toccata lässt noch deutlich die Verwurzelung dieser Gattung in der freien präludierenden Improvisation auf dem Tasteninstrument erkennen. Einen weiteren wichtigen Bestandteil des Orgelrepertoires und zugleich ein zentrales Medium für die Erprobung und Ausbildung eines spezifisch instrumentalen Komponierens bildete die Canzone, wobei in der venezianischen und venezianisch bestimmten österreichischen Produktion um 1600 in vielen Fällen noch nicht strikt zwischen Ensemble- und bloßer Orgelbesetzung unterschieden werden kann (die „reine“ Claviercanzone trat in Österreich erst im Gefolge Girolamo Frescobaldis auf).

Einen entscheidenden Entwicklungsschub verdankt die O. im österreichischen Raum dem Wirken von J. J. Froberger. Er legte den Grund für die bis zur Mitte des 18. Jh.s reichende, v. a. von den Hoforganisten getragene barocke Wiener Claviermusikschule (W. Ebner, J. C. Kerll, F. M. Techelmann, F. T. Richter, G. Reutter d. Ä., A. Poglietti, J. B. Peyer, Go. Muffat). Bei Froberger und seinen Nachfolgern erfolgte erstmals eine idiomatische Differenzierung innerhalb der Tastenmusik: Suiten rechnen, insofern sie den style brisé der französischen Lautenisten und Clavecinisten aufgreifen, mit dem Cembalo. Die aus der italienischen Tradition kommenden Toccaten und fugierten Formen weisen zunächst keine auf ein bestimmtes Tasteninstrument bezogene Textur auf und erscheinen daher prinzipiell auf allen „Clavieren“ darstellbar. Die Bestimmung für Orgel kann sich allerdings wie im Fall der Elevationstoccata (Elevationsmusik) oder der Versetten aus der liturgischen Funktion ergeben. Zudem sehen in der 2. Hälfte des 17. Jh.s Toccaten gelegentlich eine obligate Verwendung des Pedals vor (das aber in Österreich wie in Italien auf harmonische Stütztöne beschränkt blieb).

Das von Froberger im Anschluss an seinen Lehrer Frescobaldi geschaffene Gattungssystem blieb in seiner Grundstruktur in Österreich bis zur Mitte des 18. Jh.s verbindlich. Darin steht die virtuose Toccata als freiere, im rhapsodischen stilus fantasticus gehaltene Form, in die freilich auch imitierende oder motivisch gebundene Partien integriert werden können, strengstimmigen Fugentypen gegenüber. Von diesen stellen Ricercar und Fantasia mit ihrem ruhigen quasi-vokalen Duktus dem stile antico nahe; Canzone und Capriccio sind dagegen lebhafte Spielstücke mit figurierter Thematik und von ganz instrumentalem Zuschnitt. Charakteristisch für die Wiener Claviermusik nach Froberger ist der oftmals programmatische oder tonmalerische und virtuose Charakter von Capriccio und Canzone (Kerll, Poglietti) und die – im Kreis von J. J. Fux nochmals intensivierte – Pflege des Ricercars als Muster- bzw. Studienkomposition des strengen Stils (Poglietti, Go. Muffat). An allen diesen Genres partizipieren die für die liturgische alternatim-Praxis gedachten Orgelversetten, die in Form von tonartlich geordneten Zyklen aus meist je einer kurzen Toccata und mehreren eher knappen Fugen von zahlreichen Komponisten vorgelegt wurden (u. a. W. Ebner, Kerll, J. B. Peyer, Go. Muffat, auch noch G. M. Monn und G. W. Wagenseil).

Wien war im 17. Jh. auch im Bereich der Claviermusik zur dominierenden Metropole des Habsburger-Reichs geworden. Daneben konnte sich auf dem Gebiet des heutigen Österreich Salzburg als Zentrum der O. behaupten. J. B. Sambers Lehrwerke Manuductio ad organum und Continuatio ad manuductionem (1704 bzw. 1707) zählen zu den bedeutendsten Dokumenten der zeitgenössischen Spiel-, Dispositions- und Registrierungspraxis. Ge. Muffat führte in seinem Apparatus musico-organisticus (1690), der auf der Basis der italienisch-süddeutsch-österreichischen Claviermusik des 17. Jh.s auch Einflüsse der modernen instrumentalen Ensemblemusik italienischer und französischer Provenienz verarbeitet, die Gattung der großformatigen (Pedal-)Toccata zu einem Höhepunkt. J. E. Eberlin vollzog in seinen 9 Toccate e fughe (1747), die teilweise bereits den neuen „galanten“ Stil aufgreifen, den Übergang von der Versettenfolge zum breiter angelegten zweiteiligen Zykus aus Präludium und Fuge.

In der 2. Hälfte des 18. Jh.s wurde die O., die bis dahin einen Platz im Zentrum der avancierten und höchstrangigen Kunstmusik einnahm, zu einer peripheren Erscheinung. Im profanen Musikleben fielen die klangstarren Clavierinstrumente Cembalo und Orgel dem Siegeszug des Pianoforte (Klavierbau) zum Opfer. Die insgesamt schwindende Bedeutung der kirchlichen Institutionen in der Musikkultur, Liturgiereformen wie jene Josephs II., aber auch das Aufkommen des Volksgesangs (Gemeindegesang) schufen für ein kunstvoll entfaltetes Orgelspiel restriktivere Bedingungen. Es ist bezeichnend, dass J. Haydn, W. A. Mozart (immerhin ein exzellierender Orgelimprovisator) und L. v. Beethoven fast alle ihrer vergleichsweise wenigen „solistischen“ Orgelkompositionen für Musikautomaten (sog. „Flötenuhren“ oder „Orgelwalzen“) schrieben und ansonsten die Orgel allenfalls in Ensemblewerken solistisch hervortreten ließen: Haydn in den Messen Hob. XXII: 4 und 7 (Orgelsolomesse) und in den Konzerten für Orgel (oder Cembalo) Hob. XVIII, die an die Wiener vorklassische Orgelkonzertproduktion (G. J. Werner, G. Reutter d. J., G. Ch. Wagenseil) anschließen; Mozart in der Messe KV 259 und in Kirchensonaten. Die insgesamt durchaus umfangreiche O. von Komponisten wie J. G. Albrechtsberger, M. Haydn, G. Pasterwiz, F. Schneider, M. Stadler und J. B. Vanhal umfasst bei aller Gediegenheit des Tonsatzes liturgische (und häufig zugleich pädagogische) Gebrauchsliteratur in Versetten-Art und – in fließendem Übergang dazu – (größere) Präludien sowie Fugen, erweist sich also schon von den Gattungen her als traditionsverhaftet und steht oftmals im Kontext einer dezidierten Pflege des (nach zeitgenössischer Ansicht der Orgel einzig adäquaten) strengen Stils. In diesen Zusammenhang gehört auch die in Österreich im 18. und frühen 19. Jh. anhaltende Tradierung älteren, bis auf Frescobaldi zurückreichenden Repertoires.

Die während der ersten beiden Drittel des 19. Jh.s massenhaft produzierte österreichische O. (von Am. Rieder, Franz Volkert, A. Bibl, R. Führer, Johann Beranek, J. G. Zangl, R. Bibl, J. E. Habert sowie S. Sechter als einem namhafteren Komponisten) hält im Wesentlichen an dem im 18. Jh. erreichten Zustand fest und gerät dementsprechend in eine immer größere Diskrepanz zur allgemeinen kompositorischen Entwicklung. Vielfach handelt es sich um schlicht gehaltene Präludien, Fugen, Kadenzen, Vor- und Zwischenspiele etc. für die gottesdienstliche und/oder didaktische Alltagspraxis. An „neuen“, gleichwohl alten, weil am Muster der Werke J. S. Bachs orientierten Gattungen treten fallweise Choralvorspiele bzw. Kirchenliedbearbeitungen und Trios auf. Nicht zuletzt wegen des orgelbautechnischen Konservativismus fehlte in Österreich ein der konzertant-virtuosen deutschen Orgelsonate vergleichbares Schaffen. Die ambitionierteren Orgelwerke von S. v. Neukomm, F. Lachner oder auch F. Liszt entstanden in Frankreich und Deutschland. Die wenigen Orgelstücke, die in Österreich wirkende Komponisten von hohem Rang (Fr. Schubert und der als Orgelspieler und -improvisator herausragende A. Bruckner) vorgelegt haben, nehmen in deren Œuvre eine ganz untergeordnete Stellung ein.

Die Situation begann sich gegen Ende des 19. Jh.s zu ändern, nachdem u. a. die Etablierung des Orgelrecitals als eines eigenen Konzerttypus und langsam auch nach Österreich dringende Innovationen im Orgelbau die Voraussetzungen für eine gewichtigere und den aktuellen (klang)ästhetischen und kompositorischen Vorstellungen entsprechende O. gelegt hatten. Zunächst fallen in die Zeit um 1900 mit den Choralvorspielen op. 122 von J. Brahms und den Fantasien von H. v. Herzogenberg, R. Fuchs und J. Labor (der zudem Improvisationen und eine Sonate veröffentlicht hat) Opera, die noch einen von der Auseinandersetzung mit barocker Literatur geprägten Klassizismus repräsentieren, die aber als ausdrucksschweres Spätwerk bzw. als breiter angelegte Vortragsstücke die Orgel wieder als Medium anspruchsvolleren Komponierens einsetzen. In der nächsten Generation, bei J. V. v. Wöss, V. Goller, M. Springer, R. Mojsisovics und I. Stögbauer, wird zwar an der primär liturgischen Bestimmung der Orgel festgehalten, zugleich unter dem Einfluss insbesondere von Bruckner und teilweise auch Max Reger der Anschluss an die nach-Wagnerische Musiksprache gesucht; dies geht mit der Orientierung an der „modernen Orchesterorgel“ einher (in der Folge entstehen neben Solowerken auch Messen und Konzertsätze für Stimmen bzw. Soloinstrumente und Orgel als gleichsam Orchestersurrogat). Eine besondere Stellung nimmt schließlich der – gemeinhin ebenfalls der „Spätromantik“ zugeordnete, allerdings in kritisch-distanziertem Verhältnis zur „Orchesterorgel“ stehende – Fr. Schmidt ein. Schmidt, dessen Werk durch die Bindung an barocke Gattungstypen, die feste Fundierung in einer (wenngleich chromatisch angereicherten) tonalen Harmonik, ausladende „symphonische“ Dimensionen und hohe technische Anforderungen gekennzeichnet ist, zählt zu den wenigen Komponisten des 20. Jh.s, die, obwohl keine Kirchenmusiker, der O. einen bedeutenden Platz in ihrem Œuvre angewiesen haben. Der herausragende österreichische Orgelkomponist der 1. Jh.hälfte neben Schmidt ist J. N. David, einer der wenigen Verfechter der Ideale der (deutschen) Orgelbewegung in Österreich. Davids Schaffen (in dessen Zentrum das „magnum opus“ des Choralwerks, 1932–62, steht) liegt eine an den alten Meistern geschulte kontrapunktisch-lineare Satzauffassung zugrunde.

Auch in der O. wurde nach 1945 zunächst eine im weitesten Sinn neoklassizistische Stillage beibehalten, u. a. von W. Pach, der schon in der Zwischenkriegszeit seine ursprünglich von Schmidt und Reger herkommende Musiksprache in diese Richtung weiterentwickelt hatte, C. Bresgen, J. F. Doppelbauer und dem David-Schüler H. Eder. A. Heiller, der bedeutendste österreichische Organist nach dem Zweiten Weltkrieg, schloss ebenfalls zunächst an David und Paul Hindemith an, ehe er sich der Dodekaphonie (Zwölftontechnik) und Einflüssen der neueren französischen O. öffnete

Wenngleich die Orgel also im Musikschaffen des 20. Jh.s an Terrain zurückgewinnen konnte, blieb an ihr doch die Bedeutung d e s Musikinstruments der Kirche, eine gewisse sakrale Aura und die Assoziation mit in erster Linie vorklassischer Literatur haften. Hinzu kommen spezifische technische Bedingungen, v. a. die beschränkte dynamische und klangfarbliche Flexibilität bzw. der Umstand, dass dynamische und klangfarbliche Veränderung nicht restlos entkoppelbar sind. Dies alles ließ die Orgel für eine moderne oder „avantgardistische“ Musik – zumal bei permanent fortgetriebenem Entwicklungsstand des Materials – nur bedingt geeignet erscheinen. Es überrascht daher nicht, dass die Komponisten mit einem umfangreicheren Orgelschaffen in den meisten Fällen selbst Organisten und/oder beruflich oder weltanschaulich der Kirche verbunden sind, und dass die wenigen Orgelstücke von Vertretern der „neuen Musik“ wie z. B. A. Schönberg, E. Krenek oder K. Schiske jeweils einer speziellen Konstellation oder Motivation entsprungen sind. In den 1960er Jahren wurde freilich von einer Gruppe von Komponisten, darunter G. Ligeti, der Versuch unternommen, durch gezielte Verwertung bis dahin ungenutzter klanglicher Möglichkeiten des Instruments (z. B. Cluster, halbgezogene Register etc.) eine radikal neue O. zu bewerkstelligen. Die hier erprobten Techniken sind partiell auch in der jüngeren österreichischen Produktion aufgegriffen worden, zu deren wesentlichen Voraussetzungen das Wirken A. Heillers zählt, die teilweise aber auch Impulse von der aktuellen internationalen, insbesondere französischen O. empfing (M. Radulescu, P. Planyavsky, W. Sauseng, Th. D. Schlee).


Literatur
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Autor*innen
Markus Grassl
Letzte inhaltliche Änderung
30.6.2004
Empfohlene Zitierweise
Markus Grassl, Art. „Orgelmusik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 30.6.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dbf1
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