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Opernparodie
Komisch-satirische Übernahme von Inhalten, Texten oder musikalischen Partien in ein neues Werk von unterschiedlichstem Gattungstyp, das sich kritisch oder verspottend mit der Oper auseinandersetzt. Die satirische Parodie von Opern richtet sich fast immer gegen Werke oder Komponisten, die einen „hohen“, also pathetischen Stil vertreten. Ein frühes Zentrum für Theater-Parodien war Paris, wo fast alle entsprechenden Bühnenwerke verspottet wurden, etwa Dramen von Pierre Corneille und Jean Racine, im musikalischen Bereich Opern von Jean-Baptiste Lully und der Protagonisten im Streit zwischen N. Piccini und Ch. W. Gluck; die Gattung des Vaudevilles hat hier einen ihrer Anfänge, und später noch J. Offenbach sowie in Wien etwa F. v. Suppé stehen in dieser Tradition (Operette). Einen durchschlagenden Erfolg erzielte in London Johann Christoph Pepusch mit seiner Beggar’s Opera (1728), gerichtet gegen die auch dort damals dominierende italienische Oper und deren Hauptvertreter G. F. Händel; noch in der nach diesem Vorbild geschriebenen Dreigroschenoper (1928) von Bert Brecht und K. Weill ist eine parodistische Tendenz deutlich.

In Wien, wie fast in allen Städten mit Opernbetrieb, gab es zahlreiche O.n: Dazu gehört auch die kleine Oper Prima la musica e poi le parole, mit der Giambattista Cesti und A. Salieri bei derselben Aufführung (1786) über den konkurrierenden Schauspieldirektor von J. G. Stephanie d. J. und W. A. Mozart triumphierten; parodistisch sind sicher auch die drei Opern-Zitate im Finale des Don Giovanni (1787) gemeint, und eine zielsichere Instrumental-Parodie ist Mozarts Musikalischer Spaß (KV 522, 1787). Mozarts erfolgreiche Zauberflöte wurde dann ihrerseits Gegenstand von Parodien (etwa durch W. Müller 1818). Von den deutschen Opern des 19. Jh.s waren es insbesondere C. M. v. Webers Freischütz und ganz besonders die Werke Rich. Wagners, die parodiert wurden. V. a. Wagner provozierte eine fast unübersehbare Flut von Parodien: Ein Meister der (Wagner-)Parodie war J. N. Nestroy, der zusammen mit den Komponisten Ad. Müller, M. Hebenstreit und C. Binder zielsicher verschiedene Opern aufs Korn nahm, und zwar mit: Zampa der Tagdieb oder Die Braut von Gips (1832, zu Ferdinand Herolds Zampa), Robert der Teuxel (1833, zu Robert der Teufel von Eugène Scribe und G. Meyerbeer), Martha oder Die Mischmonder-Markt-Mägde-Mietung (1848; zu F. v. Flotows Oper), Tannhäuser (1857) und Lohengrin (1859); bis heute (2004) wird davon gelegentlich die Tannhäuser-Parodie aufgeführt, für die Nestroy einen erfolgreichen „Studentenulk“ des Breslauers Hermann Wollheim wirkungsvoll und teilweise eingreifend bearbeitete und C. Binder eine viel gelobte neue und gleichfalls parodistische Musik schrieb. Eine weitere, bis heute gespielte Wagner-Parodie ist die Operette Die lustigen Nibelungen (Rideamus [= Fritz Oliven] und O. Straus, 1904); neuere Beispiele sind die Parodien von Wagner-Opern durch Charles Ludlam (The Ring Gott Farblonjet, New York 1977), Uwe Hoppe (Bayreuth 1982ff.) oder das in München 2003/04 höchst erfolgreiche Musical Siegfried: Götterschweiß und Heldenblut, ein Ergebnis bayerisch-österreichischer Zusammenarbeit. Wagner hat übrigens auch seinerseits eine Parodie, im Stil Offenbachs, konzipiert, und zwar das heute anstößig wirkende Libretto Eine Kapitulation (1870) über den deutsch-französischen Krieg; der Dirigent H. Richter hat es sogar teilweise vertont.

Internationales Aufsehen erregte die auch in Österreich gezeigte Produktion der mexikanischen Gruppe Divas A. C. Donna Giovanni (1984). Eine höchst gelungene Parodie der Gesamt-Gattung Oper ist schließlich Let’s Fake an Opera des Briten Gerard Hoffnung (1925–59), der mit anderen „Kompositionen“ und mit seinen Karikaturen den Musik-Betrieb gleichfalls aufs Korn nahm.

Es gibt allerdings bis heute O.n im ursprünglichen Wortsinn, also ernst gemeinte Werke, welche Themen und Stil von früherer Musik und älteren Opern verarbeiten, etwa neo-klassizistische Musik-Werke von Paul Hindemith, Sergej Prokofieff und Igor Strawinsky (The Rake’s Progress 1951; Libretto: Wystan Hugh Auden), aber auch verschiedene Broadway-Musicals, die entweder die originale Musik beibehalten (Carmen Jones 1943, My Darlin’ Aida 1952) oder die alte Handlung übernehmen bzw. variieren: Rent 1996 [zu La Bohème], Disney’s Aida 2000; vgl. auch Miss Saigon, London 1989 [zu Madama Butterfly]; Black Rider, Hamburg 1990 [zum Freischütz]; in Italien: Tosca – amore disperato von Lucio Dalla (UA Rom 2003, 2004 Gastspiel Wörtherseefestspiele). In gewisser Weise gehört auch Capriccio (1942) von Clemens Krauss und R. Strauss in den Kontext der „ernsten Parodien“.

Unscharf ist die Grenze zwischen der O. und der lange beliebten Gattung Pasticcio: So verspottet etwa L. Da Pontes ursprünglich für Wien geschriebenes Opern-Cento L’ape musicale, mit neu textierter Übernahme bekannter Opern-Melodien, gleichfalls den Theaterbetrieb, wobei die vierte Bearbeitung der „Musikalischen Biene“ durch den nach Amerika emigrierten Da Ponte (New York 1830) als die erste in den damals jungen Vereinigten Staaten entstandene „Oper“ bezeichnet werden kann. Bis heute gelesene literarische O.n stammen z. B. von Thomas Mann (Tristan 1903, Wälsungenblut 1905 [zu Wagners Walküre), Heinrich Mann (Der Untertan 1918: Lohengrin-Aufführung) oder Herbert Rosendorfer (Der Ruinenbaumeister 1969 [zu Don Giovanni], Der gestrandete Holländer, Don Tristano e Donna Isotta).


Literatur
M. Bührmann, Johann Nepomuk Nestroys Parodien, Diss. Kiel 1933; NGroveD 14 (1980) [Parody]; A. Schneider, Die parodierten Musikdramen Richard Wagners 1996; MGG 7 (1997) [Parodie und Kontrafaktur].

Autor*innen
Ulrich Müller
Letzte inhaltliche Änderung
30.6.2004
Empfohlene Zitierweise
Ulrich Müller, Art. „Opernparodie‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 30.6.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dbd7
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