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Musikwissenschaft, Vergleichende (Vergleichend-systematische)
Von G. Adler 1885 als vergleichende musikalische Ethnographie (innerhalb einer systematischen Musikwissenschaft) definiert, wurde das völkerkundliche Material von den ersten Vertretern der V.n M. dem Kontext allgemeiner die Musik betreffender Fragestellungen psychologisch-physiologischen, ästhetischen, entwicklungsgeschichtlichen und kulturhistorischen Charakters unterstellt und die V. M. so zu einer Art musikalischer Grundlagenforschung. Nach der Emanzipation des musikethnologischen Bereichs und dessen Konstituierung als Ethnomusikologie um die Mitte des 20. Jh.s ging diese Ausrichtung allenthalben verloren und überlebte die Bezeichnung V. M. mancherorts nur noch als Synonym für Ethnomusikologie (Musikethnologie). Die Wiener Tradition jedoch behielt mit dem Namen V. M. den durch die charakteristische Verbindung der – insbesondere auf den ethnologischen Bereich ausgerichteten – Musikkulturregionalistik mit der musikalischen Grundlagenforschung gekennzeichneten Forschungsansatz bei, nennt ihn später aber „Vergleichend-systematische“ Musikwissenschaft. Darunter „wird ein Forschungsansatz verstanden, der von jeder der drei großen Abteilungen der Musikwissenschaft – von der Historischen Musikwissenschaft, der Ethnomusikologie und der Systematischen Musikwissenschaft – verfolgt werden kann, der jedoch in keiner dieser Disziplinen aufgeht.“ (Födermayr). Ihre erste Profilierung erfuhr die V. M. in Berlin (C. Stumpf, E. M. v. Hornbostel, Otto Abraham). In Österreich ist der Beginn der V.n M. etwas später mit R. Wallaschek anzusetzen, der sich 1896 an der Univ. Wien für „Musikästhetik und Psychologie der Tonkunst“ habilitiert hatte und dort 1908 zum ao. Prof. für V. M. ernannt wurde. Im musikethnologischen Bereich noch ganz durch das evolutionistische Denken seiner Zeit geprägt, nahm er im musikpsychologisch-ästhetischen Bereich eine deutliche Gegenposition zur kontemplativ-philosophischen Richtung seiner Zeit zugunsten eines naturwissenschaftlich-experimentellen Ansatzes ein. Sein Schüler und Nachfolger R. Lach baute die für die österreichische V. M. charakteristische, auch naturwissenschaftliche Fächer einbindende Interdisziplinarität weiter aus, band sie allerdings fester als Wallaschek in den evolutionistischen Ansatz ein. Erst W. Graf, der 1952 mit seiner Habilitation die mit der Pensionierung von Lach 1939 unterbrochene Tradition wieder aufnahm, verließ durch die starke Betonung kultureller und persönlichkeitsbedingter Faktoren die evolutionistische Basis seiner Vorgänger und schuf eine ausgewogene Balance zwischen dem musikethnologischen und dem naturwissenschaftlichen Bereich der V.n M. Mit seiner quellenkritischen Methode und durch die Grundlegung einer musikalischen Schallforschung setzte er neue Akzente, welche von seinem Schüler und Nachfolger F. Födermayr in Zusammenarbeit mit dem Psychologen W. A. Deutsch weiter ausgebaut werden. Diese sind geneigt, von einer „allgemeinen Musikwissenschaft“ zu sprechen, für welche „die interdisziplinäre Ausrichtung konstitutiv ist und die [...] ‚ von ihrem Gegenstand und den ihm angemessenen Untersuchungsmethoden her [...] eine Zwischenstellung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einnimmt.“
Literatur
G. Adler in VfMw 1 (1885); F. Födermayr in K. Acham (Hg.), Gesch. der österr. Humanwissenschaften 5 (2003); W. Graf in Yearbook of the International Folk Music Council 6 (1974); W. Graf, V. M.: Ausgewählte Aufsätze, hg. v. F. Födermayr 1980; W. Graf et al., Robert Lach: Persönlichkeit und Werk 1954; E. M. v. Hornbostel in ZIMG (1905); R. Lach, Die v. M., ihre Methoden und Probleme 1924; MGG 6 (1997) [Musikethnologie]; E. W. Partsch in StMw 36 (1985); A. Schneider, Musikwissenschaft und Kulturkreislehre: Zur Methodik und Gesch. der V.n M. 1976; R. Wallaschek, Anfänge der Tonkunst 1903.

Autor*innen
Franz Födermayr
Letzte inhaltliche Änderung
14.12.2004
Empfohlene Zitierweise
Franz Födermayr, Art. „Musikwissenschaft, Vergleichende (Vergleichend-systematische)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.12.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x000254af
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