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Kenner und Liebhaber
Auf die Rezeptionshaltung bezogenes Kategorienpaar der bürgerlichen Musikkultur; es ist auf eine mit der Professionalisierung des Musiklebens parallel laufende Entwicklung der Konsumenten bzw. des Publikums (Musikkonsum) bezogen und bezeichnet hier das Streben nach Bildung und Erbauung einerseits sowie nach Unterhaltung und Entspannung andererseits (auch Dilettant).

Dementsprechend werden diese Begriffe ab der 2. Hälfte des 18. Jh.s verwendet, sowohl für Notenausgaben (besonders bei C. Ph. E. Bach für sechs Sammlungen von Klavierstücken 1779–87) als auch zur Bezeichnung von Veranstaltungen (etwa durch Ludwig Rellstab in Berlin 1787). Die Funktion dieser Kategorien war eine kommerzielle Notwendigkeit, nämlich jene, den Produzenten bzw. Veranstaltern angesichts der zunehmenden Ablösung persönlicher, d. h. in ihrem Geschmacksurteil geläufiger Auftraggeber durch eine anonyme Gruppe potentieller Käufer mit unterschiedlichen ästhetischen Bedürfnissen und verschiedener musikalischer Bildung eine Orientierungshilfe zu bieten.

Folgerichtig sind diese Vorstellungen auch bei österreichischen Komponisten zu finden. Die Forderung, dass die Künste zugleich vergnügen und belehren sollten, wurde zweifellos auch an die Instrumentalmusik gestellt. Die Verbindung von Volkstümlichem und Kunsthaftem entspricht dem aufklärerischen Ideal einer universell verständlichen Musik, für das der Begriff der klassischen Musik im eigentlichen Sinn steht. So verrät etwa die vielzitierte, auf den Idomeneo bezogene briefliche Äußerung W. A. Mozarts seinem Vater gegenüber, dass er sich nicht um das „sogenannte Popolare“ sorgen möge, da seine Oper „Musick für aller Gattung leute; – ausgenommen für lange ohren nicht“ enthalte, die Ablehnung des zunächst damit verbundenen Anspruchs, dass kompositorische Könnerschaft die gleichzeitige Befriedigung beider Bedürfnisse bedeute. Diese Zurückhaltung gegenüber einer von L. Mozart immer wieder um des marktwirtschaftlichen Erfolges willen von seinem Sohn eingeforderte Rücksicht auf das anonyme Publikum war offenbar eine Ausnahme. Und die nächsten Jahrzehnte brachten tatsächlich die breitere Entwicklung dieses Musikmarktes und zugleich seine Ausdifferenzierung. Dementsprechend findet sich in der 1828 erstmals erschienenen und vielfach aufgelegten Klavierschule J. N. Hummels der ausdrückliche Hinweis, dass die Fertigkeit, K. u. L. zugleich zu befriedigen, den krönenden Abschluss instrumentaler Ausbildung darstelle. So beschreibt Hummel seine eigene Einschätzung der Situation mit den Worten: „Obschon mir nun an der Zufriedenheit der Kenner bei weitem am meisten gelegen sein musste: so war mir doch auch an der, der Nichtkenner, gelegen; denn es giebt ja in der ganzen Welt kein eigentliches Publikum blos von Kennern“ (Anweisung zum Piano Forte-Spiel). Gleichzeitig kommt es zu einer wachsenden Spezialisierung der musikalischen Produktion, schon zur Zeit L. v. Beethovens und Fr. Schuberts werden Bildungs- und Unterhaltungsanspruch mit unterschiedlichen Gattungen bedient und einige Jahrzehnte später erfolgt die Ausrichtung der Komponisten selbst in jeweils unterschiedliche Richtung (vgl. J. Brahms versus J. Strauß Sohn).

Fasst man diese Spezialisierung als eine Folge der Einteilung potentieller Musikkonsumenten in K. u. L. auf, so ist auch die weitere Entwicklung auf dem Gebiet der Distribution von Musik sowie des musikbezogenen Diskurses als deren Auswirkung zu beschreiben: Der Anfang des 19. Jh.s einsetzende wirtschaftliche Aufstieg der seit den 1770er Jahren sich etablierenden sog. Altwiener Musikverlage (wie Artaria, Haslinger, Diabelli) ist die Folge eines wachsenden Bedarfs an Musikalien für privat betriebenes Musizieren derjenigen Schichten, die auch das Publikum musikalischer Veranstaltungen bilden. Gleichzeitig erfolgt ein Wandel in der Produktion: Neben Originalkompositionen werden vermehrt Arrangements und Bearbeitungen bekannter Melodien angeboten, die v. a. als Serien und in Form von Anthologien von Spezialrepertoires (z. B. einer bestimmten Besetzung, einer bestimmten Musikgattung – etwa Opernpotpourris) veröffentlicht werden und so zum regelmäßigen Erwerb anregen. Dabei hängt der am Umfang der Produktion und an der Dauer des Bestandes ablesbare kommerzielle Erfolg einer Firma unmittelbar mit ihrem Anteil an der Mode jener unterhaltenden, leicht konsumierbaren Musik zusammen, die eine Verkörperung dessen darstellt, was Musik-Liebhaber bevorzugen. Als Gegenstück zu solcher Massenware bleibt die ästhetisch anspruchsvolle, durch Bildung zugängliche und zur Erbauung geeignete Kunstmusik ein Elite-Phänomen wie der solches bevorzugende musikalische Kenner.

Auch der im Zuge der Aufklärung des 18. Jh.s einsetzende räsonierende Umgang mit Musik spiegelt diese Teilung der Konsumenten nach unterschiedlichen Rezeptionsansprüchen. Fortschreitender Popularisierung von Musikbeschreibung im Sinn poetisierender bzw. konkreter Inhaltsdeutung, die den von Musik ausgelösten Gefühlen nachspüren will, stehen im Verlauf des 19. Jh.s die Bemühungen der jungen Musikwissenschaft gegenüber, die eine sachliche, objektiv nachvollziehbare und damit dem Ideal der Naturwissenschaften methodisch vergleichbare Auseinandersetzung mit dem Gegenstand anstrebt. Dementsprechend wurde die sog. reine Tonkunst, die absolute Musik zum die Wertmaßstäbe der Kunstbetrachtung für lange Zeit bestimmenden Idealbild. Dieser Umstand hat sich erst im Verlauf jüngerer Entwicklungen musikalischer Produktion verändert, die sowohl eine Grenzüberschreitung von Kunstformen und Gattungen als auch eine Verschiebung bzw. Verschmelzung der traditionellen Scheidung von Komponist, Interpret und teilweise auch Publikum mit sich bringt (Medienkunst; Medien).


Literatur
P. Schleuning, Der Bürger erhebt sich. Gesch. der dt. Musik im 18. Jh. 22000, 128–178; E. Reimer in HmT 1974; MGÖ 2 (1995); C. Knotik in Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 81 (1989); A. Weinmann 2/2 (1978), 2/24 (1985) u. 2/19 (1979–83).

Autor*innen
Cornelia Szabó-Knotik
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Cornelia Szabó-Knotik, Art. „Kenner und Liebhaber‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d411
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