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Hymnen
Einfach gebaute Musikstücke mit dem Zweck, einen zur Identitätsstiftung einer Gruppe geeigneten Text bei bestimmten Anlässen aufführbar zu machen. Folgerichtig wurde deshalb seit dem ausgehenden 18. Jh. die Repräsentation von Staatsgebilden durch offiziell dazu bestimmte, sogenannte National-H. unterstützt (God Save the Queen 1745, Marseillaise 1792, Oesterreichisches Nationallied 1797, Bundeshymne), die v. a. durch ihre Melodie charakterisiert sind und abhängig von historischen oder ideologischen Verhältnissen mit jeweils unterschiedlichen Texten versehen werden können. Die Bandbreite des musikalischen wie textlichen Ausdrucks reicht dabei von militärisch-heroischem Beschwören patriotischer Gefühle (Marseillaise) bis zum pathetischen Lobpreis der schönen Heimat. Es werden nicht nur eigens geschaffene und zur Verwendung dekretierte Melodien als Grundlage verwendet, sondern auch traditionelle, volkstümliche Lieder. Dennoch ist die Musik an sich in keinem Fall national konnotiert, d. h. der nationale Ausdruck ist eine Frage der Zuschreibung. Das beweist die Verwendung solcher Melodien zu unterschiedlichen Zwecken und in unterschiedlichen Ländern wie etwa im 19. Jh. diejenige der britischen Nationalhymne u. a. in Dänemark, in Schweden, der Schweiz, Russland, den USA und dem Deutschen Reich.

Die wechselvolle politische Geschichte Österreichs im 20. Jh. bietet mit ihren Auseinandersetzungen zu dem Thema ein hervorragendes Anschauungsbeispiel für die Bedeutung dieser Musikgattung. Die Wahl einer W. A. Mozart zugeschriebenen Melodie zur Repräsentation der Zweiten Republik bedeutet nicht nur die Ersetzung eines musikalischen Klassikers (J. Haydn) durch einen zweiten, sondern v. a. auch eine Konsequenz der speziellen Rolle dieses Komponisten im Symbolhaushalt dieses Staates (z. B. Mozartensemble der Wiener Staatsoper nach dem Zweiten Weltkrieg). Bedurfte in der Monarchie im offiziellen Rahmen nur der Gesamtstaat einer solchen Melodie (Kaiserhymne), so wurde ab der Ersten Republik das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Identität und Föderalismusgedanke auch dadurch manifest, dass die einzelnen Bundesländer Österreichs offiziell eigene H. bestimmten. Dabei wurden oft schon vorhandene Lieder aufgegriffen, im Einzelfall solche, die das Ergebnis eines eigens ausgeschriebenen Wettbewerbs oder eines kommissionellen Vorschlags waren. Neben dem üblichen feierlichen Tonfall weisen manche dieser Stücke textlich wie musikalisch auch folkloristische Elemente auf: Das Kärntner Heimatlied mit einem Text des Landadvokaten und Heimatkundlers J. Thaurer v. Gallenstein (1817), dem eine in einem Preisausschreiben zum zwanzigjährigen Bestehen der Kärntner Landsmannschaft gekürte 4. Strophe der Lehrerin Maria Millonig (1928) hinzugefügt wurde, und mit einer Melodie des Gutsbesitzers J. B. X. Ritter v. Rainer zu Hasbach (1835), ist am längsten als Landeshymne akkreditiert, nämlich seit 1911. Salzburg hat seit 1928 eine Hymne (Land unsrer Väter), deren Text vom Priester und Heimatdichter Anton Pichler (1874–1943) stammt und deren Melodie der Chormeister der Salzburger Liedertafel E. Sompek verfasst hat. 1929 hat die Steiermark das 1844 für die Landwirtschaftsgesellschaft geschriebene und als Chorlied populär gewordene Dachsteinlied mit den ersten drei der ursprünglich zehn Strophen eines Textes des Buchhändlers J. Dirnböck und einer Melodie des Domorganisten L. K. Seydler zur Landeshymne bestimmt. Als nächstes in der zeitlichen Abfolge hat 1936 die Vaterländische Front für das erst 1922 zu Österreich gekommene Burgenland im Rahmen von zwei Preisausschreiben zunächst den Text des Prof.s der Lehrerinnenbildungsanstalt in Steinberg, Ernst Ludwig Görlich, Mein Heimatvolk, mein Heimatland zur Landeshymne bestimmt und dann die Musik dazu gesucht. Der Verfasser der schließlich ausgewählten Melodie war P. Zauner, Kapellmeister der Pöttschinger Bauernkapelle, wobei der zweistimmige Satz dazu vom Komponisten J. Lechthaler verfertigt wurde. Alle übrigen heute verwendeten Landes-H. sind erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt worden: 1948 wurde als einziges historisches Lied das Andreas-Hofer-Lied zu einem Text des sächsischen Juristen und romantisch begeisterten Verehrers des Tiroler Freiheitskampfes J. Mosen (1832) mit einer Melodie des mit Volksliedpflege befassten L. Knebelsberger (1844) zur Tiroler Landeshymne bestimmt, 1949 in Vorarlberg ein 1905/06 vom Musiklehrer und Kirchenmusiker A. Schmutzer getextetes und komponiertes Lied (’s Ländle, meine Heimat) ausgewählt und 1952 in Oberösterreich der aus dem 19. Jh. stammende, vielgesungene Hoamatgsang auf einen Text von Franz Stelzhamer und mit einer Melodie des Lehrers H. Schnopfhagen (Erstdruck 1885) zur Landeshymne erhoben. Das 1965 in Niederösterreich akkreditierte Heimatlied hat eine mit dem Entstehen der Bundeshymne vergleichbare Geschichte, weil dafür ein Text von Franz Karl Ginzkey (1871–1963) verwendet wurde, der schon 1948 zu einer in einem Preisausschreiben 1937 ausgezeichneten Melodie des Geraser Prämonstratenserpaters M. Offenberger als inoffizielle Hymne galt, dieser Text aber nach kommissionellen Beratungen mit einer von L. v. Beethoven auf einen Text von Johann Wolfgang v. Goethe komponierten Melodie, dem Bundeslied op. 122, verbunden wurde.

Bemerkenswerter Weise sind viele dieser Landes-H. auch heute noch als Ausweis regionaler Tradition wirksam. Das zeigt nicht nur die immer wieder auftauchende, politisch motivierte kritische Auseinandersetzung um die vierte Strophe des Kärntner Heimatliedes oder die Popularität v. a. der Steiermärkischen und der Tiroler, aber auch der Oberösterreichischen Landeshymne, sondern besonders die Tatsache, dass die genannten heute (2014) von diversen Providern als spezielle, vom Netz herunterladbare Klingeltöne für Mobiltelefone verkauft werden, was vermutlich v. a. der Demonstration von Heimatverbundenheit in fremder Umgebung eines anderen (Bundes)Landes dient.

Neben eigens zum Zweck politischer Repräsentation geschaffenen Melodien und volkstümlichen Liedern können auch Stücke aus anderem kunstmusikalischen Zusammenhang verwendet werden – ein Beispiel dafür wäre der von I. Zajc für die Oper Nikola Šubic Zrinsky geschriebene Chor U boj, U boj, der um 1900 bei Treffen slawischer Vereine oft als Gemeinschaftslied gesungen wurde. Ein aktuelles Beispiel ist der seit einem Beschluss des Europarates im Jahr 1972 zur Europahymne bestimmte Chorsatz aus dem Finale der 9. Symphonie von Beethoven (Ode an die Freude).

H. eignen sich aber nicht nur im Bereich offizieller politischer Einheiten (Nation, Bundesland, Partei) zur Repräsentation von Gemeinschaft, sondern es gibt H. bzw. Chorlieder mit vergleichbarer identitätsstiftender Funktion auch im halbprivaten Bereich bürgerlicher Vereine, wo sie – etwa für die ethnisch gemischte Bevölkerung der Städte in der Habsburgermonarchie des 19. Jh.s – nationales Interesse symbolisierten, oder – wie bei Sportvereinen (Fußball) – auch scheinbar unpolitische Gemeinschaften verkörpern. Häufiger einschlägiger Gebrauch macht auch andere Lieder oder sogar Instrumentalstücke, die mit einer (politischen) Gruppe assoziiert werden, zu einer Art von quasi „inoffiziellen“ H.; so werden etwa Oh, du mein Österreich (F. v. Suppè), aber auch der Donauwalzer (J. Strauß Sohn) und der Radetzkymarsch (J. Strauß Vater) als Verkörperung des Österreichischen verstanden und im Fall der Letztgenannten in ritualisierter Form (etwa am Ende des Neujahrskonzerts) aufgeführt.


Literatur
F. Grasberger, Die H. Österreichs 1968.

Autor*innen
Cornelia Szabó-Knotik
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Cornelia Szabó-Knotik, Art. „Hymnen‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d276
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