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Harmoniemusik
Bläserensemble des 18. Jh.s mit Hochblüte um 1800. Als die im barocken Orchester vorzüglich die „Harmonie“ ausfüllenden Bläser sich zu einem eigenen Ensemble zusammenzuschließen begannen, entstand in der Zeit des Überganges vom Barock in die Wiener Klassik die H. Diesen Vorgang bezeugt Hans Friedrich v. Fleming bereits 1726: Es würden nämlich zu dieser Zeit die Schalmeien von den Oboen verdrängt, „weil die Hautbois nicht so stark, sondern viel doucer klingen, als die Schallmeyen. Um die Harmonie desto angenehmer zu completiren, hat man jetzund zwey Discante, zwey la Taillen, und zwey Bassons“. Und an anderer Stelle lesen wir bei demselben Autor: „Bey der Königlichen Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Infanterie ist angeordnet, daß über denen Hautboisten annoch zwey Waldhornisten mit einstimmen müssen, welches eine recht angenehme Harmonie verursacht“. So kündet sich bereits zu Beginn des 2. Viertels des 18. Jh.s im militärischen Bereich jene Besetzung an, die die klassische H. charakterisiert, nämlich je zwei Oboen, Waldhörner und Fagotte.

Um 1775 erweitern die durch Klappenmechanismen technisch perfektionierten und tonlich weicheren Klarinetten das Sextett zum Oktett. Zur selben Zeit veränderten sich die gesellschaftlichen Strukturen sowohl innerhalb der Adels- wie innerhalb der bürgerlichen Schichten. Schon Kaiserin Maria Theresia hatte sich vom Prunk des Spanischen Hofzeremoniells zu befreien begonnen. Ihr Sohn Joseph II. legte es endgültig ab. Aus den kaiserlichen Hofkapellen wurde 1782 eine „Kaiserliche Kammerharmonie“, die in ihrer „klassischen“ Besetzung aus je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten bestand. Das entspricht der Definition, die Heinrich Christoph Koch 1802 gibt: „H., nennet man diejenige, die aus lauter Blasinstrumenten, und zwar gewöhnlich aus zwey Oboen, zwey Clarinetten, zwey Hörnern und zwey Fagotte besteht. Man bedient sich dabey entweder besonders dazu gesetzter Tonstücke, die den Namen Parthien führen, und die aus Sätzen von verschiedener Bewegung und Taktart bestehen, und jeden Charakter annehmen können, aber in keiner bestimmten Ordnung aufeinander folgen, oder man arrangirt für diese Instrumente Opern und andere Tonstücke, die eigentlich zu einem andern Gebrauche bestimmt sind, weil es bis jetzt noch an einer hinlänglichen Anzahl guter Tonstücke fehlet, die ursprünglich für diese Art der Musik gesetzt wären“. Dem kaiserlichen Vorbild folgten die Adelshöfe, und so konnte C. F. Kramer im zweiten Band seines Magazins der Musik (Hamburg 1784) bereits vermerken, dass es in und um Wien wohl zu keiner Zeit so viele Adelskapellen gegeben habe. Rund vierhundert Musiker stünden im Dienst adeliger Häuser.

Die Hochblüte der H. ist zwischen 1770 und 1825 anzusetzen, wobei die Regelbesetzung sowohl unter- wie überschritten werden – und zudem weitere Blasinstrumente in Erscheinung treten – konnten. Diese Variabilität in der H.-Besetzung ist v. a. bei den führenden Meistern der Zeit zu beobachten, bei J. Haydn, der für fünf- bis neunstimmige Harmonie schreibt, und bei W. A. Mozart, dessen Serenade Nr. 10 Grand’ Partita,KV 361, für je 2 Oboen, Klarinetten, Basetthörner, Fagotte, 4 Hörner und Kontrabass als erster Höhepunkt der H.-Entfaltung gilt. Dagegen hielten sich L. v. Beethoven im Oktett in Es, op. 103, und im Rondino in Es, WoO 25, sowie Fr. Schubert im Oktett in F-Dur, D 72, 1813, an die klassische Bläserbesetzung mit je 2 Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotte, während das Nonett in Es-Moll des Letztgenannten für 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Fagotte, Kontrafagott und 2 Posaunen komponiert wurde. Auch dann, wenn Flöten, (Klappen-/Ventil-)Trompeten, Jagdhörner (bei P. Wranitzky), Posaunen, Pauken (bei G. Druschetzky) mit einbezogen werden, spricht man weiterhin von H., manchmal ist von „neunstimmiger Harmonie“ die Rede, wie bei Beethovens Fassung der 7. Symphonie. J. B. Gänsbacher komponierte zwischen 1815 und 1819 Trompeter-Harmonien. Nur dann, wenn Große und Kleine Trommel, Becken, Triangel der H. beigegeben werden, ist eindeutig von „Türkischer Musik“ die Rede.

Das Ineinanderfließen von solistisch besetzter Harmonie- und chorisch besetzter Türkischer/Janitscharen-Musik wird deutlich in L. Spohrs Notturno op. 34 in C (1815), das die Besetzungsangabe „für Harmonie- und [!] Janitscharenmusik“ trägt. Das Werk entstand während der Reisezeit Spohrs, zwischen der Wiener Kapellmeistertätigkeit (1813/14) und seiner Anstellung in Frankfurt (1817), für 2 Piccolo-Flöten, 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten in B, 2 Hörner in F, 2 Fagotte, 1 Kontrafagott, 2 Trompeten, 1 Posthorn in B, 1 Posaune, Große Trommel, Becken und Triangel. Der junge Felix Mendelssohn Bartholdy hielt sich 1824 genau an die Besetzung der Kurmusik in Bad Doberan/D, für die er die Ouvertüre op. 24 komponierte, nämlich 1 Flöte, je 2 Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, 1 Trompete und ein so genanntes „Basshorn“, das in der Zeichnung Mendelssohn Bartholdys einem ventillosen Tenorhorn ähnlich sieht. C. M. v. Weber komponierte seinen Marsch für H., 1826, für die Besetzung 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Fagotte, 2 Trompeten, 1 Bass-Posaune.

Damit ist der Übergang zum Blasorchester eingeleitet, das in der Schweiz und in den Benelux-Staaten bis in die Gegenwart als Harmonieorchester, in Frankreich auch als „Grand harmonie militaire“ bezeichnet wird.

Im österreichischen Raum konzentrierte sich die „klassische“ H.-Entwicklung auf Wien und auf die in und um Wien (einschließlich der heutigen Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien) liegenden Adelshäusern, die in der Regel während des Winters in der Kaiserstadt, den Sommer über auf ihren Landsitzen Hof hielten. Als Auslöser der mitteleuropäischen H.-Mode ist die im April 1782 erfolgte Gründung einer kaiserlichen H. zu sehen, deren erste Formation aus den aus der Mozart-Biographie bekannten Brüdern J. und A. Stadler (Klarinettisten), J. Triebensee und J. Went (Oboisten), Martin Rupp und Jakob Eisen (Hornisten), Wenzel Kauzner und Ignaz Drobnay (Fagottisten) bestand – durchweg Musiker des Orchesters der Hofoper, jedoch für ihre H.-Einsätze zusätzlich entlohnt. Schon ein Jahr später, als J. F. Reichardt aus Italien kommend in Wien Station machte und vom Kaiser sowie dessen jüngstem Bruder, Erzhzg. Maximilian Franz, empfangen wurde, sprach man über diese H.: „aus lauter Blasinstrumenten bestehend, die damals in Wien mit großer Vollkommenheit ausgeübt wurde. Beyde Herrn, der Kaiser und sein Bruder, hatten jeder ihre vollständige Harmonie, und da sie hörten, daß Reichardt davon sehr eingenommen war, verhießen sie ihm, solche eines Morgens in dem kleinen Redoutensaale vereinigt hören zu lassen. Das geschah denn auch, und gewährte einen recht entzückenden Genuß. Stimmung, Vortrag, alles war rein und übereinstimmend: einige Sätze von Mozart waren auch wunderschön. Von Haydn kam leider nichts vor“ (aus seiner Autobiographie: Aufenthalt in Wien, in: AMZ 15, 1813, Sp. 667f.). Im Jahr 1801 gehörten J. Stadler, Triebensee, Wendt, Drobney und Rupp noch dem Ensemble an, während als neue Mitglieder Georg Klein (Klarinette), Johann Hörmann (Horn) und Franz Czerwenka (Fagott) genannt werden. Welche Bedeutung der kaiserlichen H. zukam, geht aus den Obersthofmeisteramts-Akten 1796 hervor, als der Hornist J. Eisen ersetzt werden musste. Sowohl Kapellmeister Salieri wie J. Haydn wurden in den Entscheidungsprozess um die Nachfolge einbezogen.

Die musikalische Entwicklung der Gattung H. im Raum Wien – Pressburg wird von den Mitgliedern der „kaiserlich-königlichen Harmonie“ sowie von den Leitern der Liechtenstein’schen, der Schwarzenberg’schen, der Grassalkovic’schen, der Lobkowitz’schen und der Palm'schen H.en geprägt: Da ist zunächst J. Wendt, der in den 1770er Jahren als Musiker sowohl beim Prinzen Schwarzenberg wie als Mitglied des Orchesters des National-Theaters (Burgtheater) in Wien diente, wo Joseph II. auf ihn aufmerksam wurde und ihn 1782 in die kaiserliche H. holte. Seine Originalwerke für H. (Partiten) fanden hohe Anerkennung in Fachkreisen und wurden über seinen Tod hinaus vielfach aufgeführt. Noch 1815 vermerkt Gottfried Johann Dlabacz, dass Wendts „Konzerte, Solo’s und verschiedene Parthien, die er für die Harmonie schrieb, [...] noch immer geschätzt, und mit vielem Beifalle aufgeführt werden“. Die H. des Prinzen Liechtenstein wurde im Herbst 1789 offiziell eingerichtet, um während der Jagd auf den mährischen Besitzungen der Familie für die Gäste eine entsprechende musikalische Unterhaltung zu bieten. Als Leiter diente zunächst der Hornist Anton Hollmayer. Der Kapelle gehörten Georg Eisner als zweiter Hornist, Friedrich Zinke und J. Triebensee als Oboisten, Ferdinand Schliess und Georg Klein als Klarinettisten, Johann Harnisch und Franz Steiner als Fagottisten an. Mit der Ernennung J. Triebensees, des Sohnes von G. Triebensee, der der kaiserlichen H. angehörte, zum Leiter des Ensembles, begann im Mai 1794 der musikalische Aufstieg. Sowohl Vater G. wie Sohn J. Triebensee hinterließen zahlreiche H.en, darunter ein Concertino für Klavier und H. (1806).

In der Schwarzenberg’schen H. begegnen bekannte Namen wie G. Triebensee und J. Wendt (vor der Berufung in die kaiserliche H.), dazu die Brüder J., Ph. und F. und deren Vater I. Theimer, Ludwig Vartl, sowie Leopold Procházka, Franz Müller, Christoph Sartori und Franz Oliva. Die in Wittingau (Třeboń/CZ) und Wien stationierte Kapelle nimmt ob ihrer spezifischen Besetzung eine Sonderstellung ein. Statt der Klarinetten wurden Englisch-Hörner besetzt. Das reiche Notenarchiv dieses Ensembles wird nun in Krumau (Česky Krumlov/CZ) verwahrt. Auch dieser Bestand zeigt den großen Anteil an Opern-Arrangements für H. Graf Zinzendorf hörte bei den Schwarzenbergs eine Nach-Tisch-Aufführung von Mozarts Zauberflöte durch die H.; der Haydn-Biograph C. Pohl erwähnt Aufführungen von C. Ditters v. Dittersdorfs Doktor und Apotheker und V. Martín y Solers Una cosa rara.

Die H. des Herzogs Antal Grassalkovich in Pressburg wurde geprägt durch die Musikerpersönlichkeit G. Druschetzkys. Im Zentrum seines musikalischen Schaffens stehen etwa 150 fünf- bis neunstimmige Bläserpartiten, heute verstreut auf Bibliotheken in Österreich, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz. Zu beachten ist, dass Druschetzky nur dann von H.en spricht, wenn er für Sextett (je zwei Oboen, Hörner und Fagotte) schreibt, dass er die Oktette (mit den zusätzlichen Klarinetten) stets als Partiten bezeichnet. Mit Partita Concertante bezeichnete der Komponist virtuosere, technisch anspruchsvollere, dem Konzert nahe stehende Stücke, die sich durch ihren künstlerischen Anspruch von den Unterhaltungsstücken deutlich abheben.

Zum Wiener Kreis der H.-Komponisten zählen noch F. Aspelmayr, J. Bonno, F. Gaßmann, J. Fiala, K. Kreith, A. Salieri, G. Ch. Wagenseil, A. Zimmermann sowie der 1772 in Danzig geborene A. Cartellieri, der die H. des Prinzen Franz Joseph Maximilian Lobkowitz leitete und drei Kompositionen für H. in ungewöhnlich virtuoser Manier hinterließ. Von J. Starzer, der für die H. des Grafen Karl v. Palm komponierte, verwahrt das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein Bläseroktett mit dem Titel Le Matin et Soir, ein programmatisches Stück Jagdmusik.

Ungewöhnlich reich an H.-Zeugnissen ist der böhmische und mährische Raum, wo die Musikkapelle des Olmützer Erzb.s Anton Theodor Colloredo-Waldsee 1777–1811 aktiv war. Die größte Sammlung an H.en des 18. Jh.s aber hängt mit der Kapelle des Prager Grafen Johann Joseph Philipp Pachta zusammen. Johann Ferdinand v. Schönfeld lobte 1796 Pachtas H. in den höchsten Tönen und in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 9.4.1800 ist zu lesen, dass zwar viele Adelige Musiker unterhielten, zumeist Bläser, dass aber die Kapelle des Grafen Pachta durch ihr Können hervorsteche. Wenige Wochen später (AMZ, 23.4.1800) heißt es erneut, dass die Kapelle des Grafen Johann von Pachta aus „wohl unsern besten Künstlern der Blasinstrumente“ bestehe. Die Datierungen in den Musiknoten der Pachta-Kapelle zeigen, dass das Ensemble seit 1762 und bis mindestens 1815 bestand. Graf Pachta wird selbst als guter Musiker und Komponist beschrieben, der 1780 eine Symphonie für H. komponiert hat.

Ebenso wie Graf Pachta, so ist auch Ch. Ph. Graf Clam-Gallas als praktischer Musiker gerühmt worden. Das zunächst auf Schloss Friedland (Frýdlant/CZ), nun in Prag verwahrte Notenarchiv seiner Kapelle bezeugt den hohen Standard der Musiker, darüber hinaus manche Besonderheit in der Besetzung. So ließ Graf Clam-Gallas zur Standardbesetzung von je zwei Oboen, Hörnern und Fagotten manchmal eine Flöte hinzufügen: das bezeugen Werke von Druschetzky und Aspelmayr. In sechs Partiten von Druschetzky findet sich ein ergänzendes Bassetthorn-Trio.

Sehr früh mag Clam-Gallas auf das Talent J. Haydns aufmerksam geworden sein. Aus der Zeit, da Haydn als Kapellmeister beim Grafen K. J. F. Morzin diente (1759–61) und dort H.en schrieb, stammen handschriftliche Kopien dreier Haydn-Divertimenti in der Clam-Gallas-Kollektion. In die Graf-Morzin-Zeit Haydns fällt die Komposition von acht ausgedehnten Divertimenti für je zwei Oboen, Hörner und Fagotte. 1761 erfolgte die Anstellung J. Haydns beim Fürsten Paul Anton Esterházy im damals westungarischen Eisenstadt. Nach dem Tod Paul Antons (1762) übernahm dessen Bruder Nikolaus die Regentschaft. In den Urkunden für den Hof wurde die als Feldmusik bezeichnete Bläsergruppe von je zwei Oboen, Hörnern und Fagotten mit ihren spezifischen Aufgaben genannt. Verantwortlich für diese H. war Vizekapellmeister Haydn.

Wie in Wien, anlässlich der Anwesenheit Reichardts, so kam es 1790 in Pressburg zur Vereinigung zweier H.en. Zur Krönungsfeierlichkeit Leopolds II. wurden die Kapellen von Grassalkovich und Esterházy vereint. Druschetzky schrieb dafür eine 21-stimmige Bläserkomposition, die – wohl infolge ihres Erfolges – in einem Konzert der Wiener Tonkünstler-Sozietät im Frühjahr 1791 wiederholt wurde. Die Eisenstädter H. wurde 1795 der Grenadier-Kompagnie zugeordnet und 1797 aufgelöst. Jedoch im Jahr 1800 erfolgte die Neugründung – mit neuen Musikern: Jakob Hirtel und Josef Elsler, Oboen; Georg Warlen und Gabriel Lendvay, Klarinetten; Anton und Michael Prinster, Hörner; Caspar Pezival und Johann Michl, Fagotte. Wichtige Werke Joseph Haydns wie Die Jahreszeiten oder Die Schöpfung wurden für dieses Ensemble aus den Autographen des Komponisten bearbeitet. Notenbestände in der Budapester Nationalbibliothek bezeugen zudem ein reiches H.-Leben am Hof des gräflichen Zweigs der Esterházy-Familie in Tata/H, beim schon genannten Fürstprimas Joseph von Batthyány in Pressburg, wo der Klarinettist Th. Lotz die H. leitete, bei den Grafen Erdödy und Harrach.

Die enge Bindung der H. an weltliche und geistliche Hofhaltungen sowie an Klostergemeinschaften regeln Anstellungsdekrete für Kapellmeister und Musiker wie das jeweilige Hofzeremoniell. Erhalten hat sich ein Eisenstädter Dokument, in dem die Rechte und Aufgaben der Mitglieder einer H. festgehalten wurden: Die Herrscherfamilie und ihre Gäste werden am Morgen mit Musik angenehm geweckt. Im Rahmen des weltlichen und kirchlichen Brauchtums, für Jubiläen und Familienfeste stehen die Instrumentalisten jederzeit auf Abruf bereit. Während des Mittagessens erklingt Tischmusik. Den Ablauf der Jagd regeln die Signale der Hornisten, im geselligen Teil spielt die Bläserharmonie zur Unterhaltung auf. Und auch des Abends mag der Fürst den erbaulichen Klängen seiner Musiker lauschen. Diese haben sich standesgemäß zu benehmen und zu kleiden. Für die Uniform und das Honorar kommt der Fürst auf. Gegen zusätzliche Bezahlung hatten die Eisenstädter Musiker während der Aufenthalte des Hofes in Eszterháza bei den Wachablösen, also einem militärischen Zeremoniell, mitzuwirken. Fürst Liechtenstein gründete 1789 eine H., um seinen Gästen während der Jagd auf den mährischen Besitzungen Kurzweil und Unterhaltung zu bieten. In Donaueschingen/D heißt es konkret, dass die H. „für Jagd und Tafel“ Verwendung fände. Trotz dieser fest umschriebenen Aufgabenstellung liegt in der gesellschaftlichen und musikalischen Konstellation der H.en doch der Anspruch absoluter Tonkunst begründet. Dafür bürgt ebenso das Kunstverständnis des Adels wie das einschlägige kompositorische Schaffen der großen Meister der Wiener Klassik. Kaiser Joseph II. und sein Bruder Maximilian Ernst konnten sich mit Reichardt „sachverständig“ über ihre Bläserharmonien unterhalten. Der Hochadel in und um Wien ließ sich auf Reisen von den H.ern begleiten – und zeigte diese stolz vor. Man war stets um gute Musiker und um neue Musik bemüht.

David Whitwell verzeichnet im achten Band seiner Geschichte der Bläsermusik mehr als zweitausend Quellen und Titel von H.-Bearbeitungen, die zwischen 1782 und 1835 entstanden sind. Die Bearbeitung zeitgenössischer symphonischer und Opernmusik hatte einen besonderen Sinn: war es doch dadurch möglich, das jeweils Neue zu verbreiten und zu popularisieren, die Klassiker in der öffentlichen Meinung zu dem zu machen, was sie uns heute bedeuten. Manchmal kam die H.-Fassung einer Oper aber auch schon vor deren UA auf den Markt, um so auf das Original neugierig zu machen: wie bei Federica und Adolfo von A. Gyrowetz und bei Johann von Paris von François-Adrien Boieldieu. V. a. diese Opernbearbeitungen waren es, die in den Nach-Tisch-Konzerten vorgestellt wurden, während die angesehene Wiener Tonkünstler-Sozietät auch Originalwerke in ihre Programme aufnahm: 1780 ein Großes neues Konzert von J. Starzer, interpretiert von der H. des Grafen Palm; 1783 eine Harmonie-Parthie von Wendt, vorgestellt von der kaiserlichen H., 1791 die schon genannte Pressburger Krönungsmusik für zwei Bläserharmonien von Druschetzky.

Es ist bezeichnend, dass in demselben Jahr, da Joseph II. die kaiserliche H. gründete (1782), das Oberspielgrafenamt (Spielgraf) in Wien aufgelöst wurde. Die H. blieb zwar (noch) eine Spielwiese adeliger Hofhaltung, doch der Kaiser selbst führte seine Bläserharmonie dem neu entstehenden Bürgerlichen Konzertwesen zu. „Adelige und andere Liebhaber“ (wie es mit der Betonung auf „und“ im oben genannten Dresdener Bericht heißt) besuchten nun gemeinsam öffentliche Konzertveranstaltungen: Ein wesentliches Ziel der von Joseph II. konsequent durchgeführten Aufklärung, in der Privilegien des Adels abgebaut und durch die bürgerlichen Tugenden „Bildung“ und „Tüchtigkeit“ ersetzt werden sollten, in der die weltliche Ethik der Freimaurer-Bewegung an die Stelle christlicher Moralvorstellungen treten sollte.


Literatur
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Autor*innen
Wolfgang Suppan
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Wolfgang Suppan, Art. „Harmoniemusik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d082
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DOI
10.1553/0x0001d082
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