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Gedanke
Kategorie der Musiktheorie, insbesondere im Gefolge der Autonomieästhetik des 18. Jh.s (Ästhetik). Die Geltung des Begriffs geht mit einem aufgeklärten Kunstverständnis einher, das sich einer vernunftvollen und eigenverantwortlichen Subjektivität verpflichtet sieht (Aufklärung). Das Sprechen von G.n innerhalb eines Kunstwerks unterstreicht mithin dessen selbstgesetzgebende und darin je individuelle Gestaltgebung. Eine solche ästhetische Haltung emanzipiert sich im Verlaufe des Jh.s folgerecht von der als stereotyp empfundenen Systematik der Figuren- und Affektenlehre (Rhetorik, musikalische). Der Terminus wird zunächst kaum einheitlich angewendet: Zum einen bestimmt er die begriffslose „Empfindungs“-Sprache einer Werkkonstruktion als Ganze (Johann Adolf Scheibe, Johann Georg Sulzer). Zum anderen kennzeichnet er die einzelnen, handwerklich bedeutsamen Funktionen von Motivik und Thematik (ansatzweise schon J. J. Fux, Johann Joachim Quantz, C. Ph. Em. Bach). Gerade jedoch als dialektisches Verhältnis aufgefasst, erlangt ein solcher Doppelsinn mit der Musikphilosophie der Romantik und des Deutschen Idealismus metaphysische Qualitäten: als „die einem Kunstwerke zu Grunde liegende Idee [...], welche in der Ausführung zur Anschauung gebracht wird“ (Wilhelm Hebenstreit, Art. G., in Wissenschaftlich-literarische Encyklopädie der Aesthetik, Wien 1843, 289f.). Der G. zeigt sich nun durch „Gefühle“ (Ferdinand Hand), das „Poetische“ (R. Schumann) oder „Empfindungen“ (Rich. Wagner) angeregt, die den formal-technischen Ablauf einer Komposition ideell vorprägen. Sie verweisen dabei auf eine dem jeweiligen musikalischen Satz übergeordnete Transzendenz des ästhetischen oder historischen Bedeutens. Abweichend von solchen Überzeugungen gewinnt im Laufe der 2. Jh.hälfte bei verschiedenen Musikdenkern in Wien eine „empirisch“ (K. Blaukopf) bestimmte Auffassung des G.-Begriffs an Kontur, die bis zu den theoretischen Äußerungen der „Wiener Schule“ fortlebt. E. Hanslick, der etwa in J. Brahms' Musik „im schönsten Sinne ein Denken in Tönen“ erblickt (Hanslick, Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre 1886, 302f.), gewahrt im musikalischen G.n keine von den Gesetzen einer poetischen „Idee“ abgeleitete Größe, sondern sieht in ihm „Form“ und „Inhalt“, die geistige Konzeption und deren Darstellung, im Material „ungetrennt“ vorausgesetzt (Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen 1854, 35 bzw. 99f.). Das Bekenntnis zu einer strikten Eigengesetzlichkeit der Musik bedingt hierbei die Ablehnung spekulativer (etwa geschichtsphilosophischer) Bedeutungselemente des Begriffs. In solchem Verständnis überträgt Hanslicks Schüler G. Adler den G.n auf historische Zusammenhänge: als Träger von „Ewigkeitswerten der klassischen Formen“, die als rein musikalische Strukturen Bestand haben, durch unterschiedliche Materialbedingungen zu verschiedenen Zeiten jedoch abweichende stilistische Ausprägungen zeigen (Adler, Hb. der Musikgeschichte 3 [31980], 795). Im 20. Jh. nutzt A. Schönberg den Begriff ähnlich wie nach ihm A. Webern und E. Krenek insbesondere im Hinblick auf seine Arbeit mit der Zwölftontechnik. Für ihn bestimmt der G. im Sinne Hanslicks die Beziehungen einzelner Motive und Rhythmen zueinander und – im Geiste des Reihenverfahrens – zugleich die Fügung eines ganzen Werkorganismus (Schönberg, Komposition mit zwölf Tönen in Stil und G. 1976, 77). Schönberg hat dies bereits viele Jahre früher damit begründet, dass „wir einen G.n zwar auf einmal, als Ganzes denken, aber nicht auf einmal, sondern nur nach und nach sagen können“ (Harmonielehre 1911, 322f.). Dieser Anspruch bedingt zunächst die raumzeitliche Identität zwischen den Teilen und der Gesamtheit eines G.ns im Werk. Weiterhin nutzt er die Vorstellung einer musikalischen Einheit von Tradition und Gegenwart, die Adler im Blick hatte: Schönberg geht von geschichtlich beständigen, wiewohl keiner ästhetischen oder historischen Systemlogik verpflichtete G.n aus, deren „Entfaltung“ jederzeit „neu“ möglich ist. „Konstant sind hierbei nur die Prinzipien [...], welche richtig erkannt und formuliert werden müssen, um Form und Formen der jeweiligen Sachlage entsprechend zu erzeugen“ (The Musical Idea 1995, 424). Die Substanz eines musikalischen G.ns im Kunstwerk bezeichnet Schönberg so auch als dessen „Neuheit“, die „niemals vergeh[t]“ (Neue Musik, veraltete Musik, Stil und G. in Stil und G., 26).
Literatur
K. Blaukopf in F. Stadler (Hg.), Wissenschaft als Kultur. Österreichs Beitrag zur Moderne 1997; M. Schmidt, Schönberg und Mozart. Aspekte einer Rezeptionsgeschichte 2002; P. Carpenter/S. Neff (Hg.), Arnold Schönberg: The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of Its Presentation 1995; Ch. v. Blumröder in AfMw 48 (1991); U. Leisinger in AfMw 47 (1990); R. Stephan, Vom musikalischen Denken 1985, 129–137; P. Carpenter in E. Strainchamps/M. R. Maniates, [Fs.] Paul Henry Lang 1984; A. Nowak in J. Kuckertz et al. (Hg.), [Fs.] R. Stephan 1990; R. Flotzinger in StMw 44 (1995), 34.

Autor*innen
Matthias Schmidt
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Matthias Schmidt, Art. „Gedanke‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0002092c
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