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Funktionale (funktionelle) Musik
Musik, die von ihren Urhebern dazu bestimmt ist, eine Wirkung zu erzielen, die nicht im Musikalisch-künstlerischen liegt. Dazu gehört im engeren Sinn Musik in der kommerziellen und politischen Werbung („Jingles“) sowie zielgerichtet hergestellte „Hintergrundmusik“ (etwa für den Einsatz an Arbeitsstätten, für Tonband- und ähnliche Mediendienste, in Einkaufszentren oder öffentlichen Orten wie Flughafen oder Bahnhof). In diesen Fällen besteht zwischen Auftraggeber(n) und Produzent(en) über den konkreten Zweck dieser Musik eine klar formulierte Übereinkunft. In einem weiteren Sinn funktional ist die Verwendung bereits existierender Musik in zweckbestimmtem Zusammenhang, wobei grundsätzlich alle stilistischen Bereiche betroffen sein können. Nicht sinnvoll ist die Anwendung des Begriffes hingegen auf die Musiktherapie und auf Musik, die als Bestandteil übergreifender künstlerischer Konzepte und Gattungen definiert ist: dies gilt besonders für Theater- und Filmmusik. Zu diskutieren wäre hingegen die Anwendung des Begriffes auf Genres wie Prozessions- oder Trauermärsche.

Im Bereich der f. M. für Zwecke der Wirtschaft hat die 1934 in den USA gegründete Firma Muzak Corporation genrebildend gewirkt: die Herstellung spezieller Musikprogramme für verschiedene Bedürfnisse der Wirtschaft (etwa zum Einsatz in Büros, Fertigungshallen, Schulen, Geschäften, Flughäfen, Bahnhöfen, Hotels) erfolgte hier unter zielgerichteter Anwendung der Erkenntnisse von Forschungen aus Musikpsychologie und Physiologie, wobei der „Nutzung“ des Unterbewusstseins eine besondere Bedeutung zukommt. Musikalisch wesentlich sind die Beschränkung auf spezielle Klang- und Frequenzbereiche (40–8000 Hz), der Versuch der Synchronisierung musikalischer mit funktionalen Tempi (zum Beispiel im Hinblick auf Arbeitsabläufe) und der zielgerichteten Dosierung der Lautstärke („Hintergrundmusik“).

F. M. im Kontext mit politischer Propaganda hat im weiteren Sinn des Begriffes eine lange Geschichte der Vereinnahmung bestehender Musik (z. B. Neu- und Mehrfachtextierung bekannter Melodien). Im 20. Jh. fand diese Tradition Ergänzung in neuartigen Konzepten einer konkret „politischen Musik“ als f. M. im engeren Sinn des Begriffes. H. Eisler entwickelte im Berlin der 1920er Jahre seine Kampfmusik, funktional für den Einsatz in der täglichen Propagandaarbeit der KPD („Agitprop“) zielgerichtet. Der klaren propagandistischen Orientierung der Texte der Lieder (u. a. von Bert Brecht und Erich Weinert) entspricht musikalisch ein marschartiger, in entscheidenden Teilen der Genretradition und der Praxis der ideologischen Gegenseite jedoch krass zuwiderlaufender Charakter: Führung der Bässe in Terzen („Eisler-Bässe“), Verwendung modaler Harmonik, Synkopierungen, zahlreiche Taktwechsel in enger Übereinstimmung mit dem Text.

Funktional im weiteren Sinn sind die zahlreichen Verwendungen bekannter Musikausschnitte in politischem und ökonomischem Kontext, beispielsweise der Einsatz des Fanfarenthemas aus F. Liszts sinfonischer Dichtung Les Préludes (1848/1854) als Kennmelodie der im deutschen Rundfunk ausgestrahlten „Sonderberichte“ des Oberkommandos der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges oder die Verwendung von Eric Saties Gymnopédies (1888) als „Jingle“ für die Produktwerbung eines Versicherungskonzerns. Nach wie vor wird f. M. in diesem weiteren Sinn gleichzeitig und neben solcher im engeren Sinn eingesetzt.

Hauptanwendungsgebiet f.r M. in Österreich sind gegenwärtig die Produktwerbung (zentrale Träger sind die TV-Anstalten, Radio, Internet und nach wie vor Kino) und „Hintergrund- und Kennmusik“ im Bereich medialer Information (Medien). Der entscheidende Marktimpuls erfolgte diesbezüglich mit der seit Mitte der 1980er Jahre erfolgten Zulassung privater TV-Kanäle (Kabel- und Satellitenfernsehen, die Kanäle betreiben konsequent professionelle Marktforschung). 1997 betrug in Deutschland die Gesamtsendezeit für Werbung im TV bereits 506.880 Minuten. Der Weiterentwicklung der seit Muzak wesentlich verfeinerten psychologischen und physiologischen Mechanismen in „Jingle“ und „Werbesong“ (maßgeblich durch Erkenntnisse der Gedächtnis- und Lernpsychologie) steht (vereinzelt) der Versuch gegenüber, „Signations“ mit künstlerisch-innovativem Anspruch gleichsam als „Demonstration“ von alternativer Identität herzustellen, z. B. in dem 1994 ergangenen Auftrag des ORF (Sender Österreich 1) an den Tiroler Komponisten W. Pirchner, das „Sound-Design“ neu zu gestalten. Nicht immer ist f. M. von ihren Herstellern als solche ausgewiesen, vielmehr finden sich nach wie vor Betitelungen, die der autonom-musikalischen Tradition entsprechen (Aphorismen, Allegorien, Stimmungen).

An der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst ist f. M. seit 1992 Teil des Lehrangebotes (Professur für angewandte Musik und Medien an der Abteilung Komposition und Musiktheorie, seit 1992 Ordinarius K. P. Sattler).


Literatur
H. Bruhn et al. (Hg.), Musikpsychologie 1993; Th. W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie 1962; W. Suppan, Der musizierende Mensch 1984; K. Blaukopf, Musiksoziologie 1951 (21972); N. Drechsler, Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933–1945, 1987; J. R. Feldbach, Musik im Alltag 1989; H.-Chr. Schmidt (Hg.), Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen 1976; M. Steegmann, Struktur, Funktion und Bedeutung 1985; J. Tauchnitz, Werbung mit Musik 1990; J. Kloppenburg (Hg.), Musik multimedial 2000; M. Baltes et al. (Hg.), Medien verstehen 1997; V. Bódy/P. Weibel (Hg.), Clipp, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo 1987; S. Helms, Musik in der Werbung 1981.

Autor*innen
Christian Glanz
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Christian Glanz, Art. „Funktionale (funktionelle) Musik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001ce55
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