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Folk
Popularmusikalische Erscheinung seit den 1960er Jahren. F. scheint die volksmusikalische Variante von Rock zu bezeichnen. Mit dem Anspruch von Authentizität benutzt F. das kommerzielle Medium Rock und wurde zu einem Teil von Rock als Wirtschaftsfaktor. Volksmusik, sowohl die der ersehnten Kultur der Schwarzen wie auch die eigene, stehen am Beginn des Rock. Die Synthese Rock’n’ Roll verschmilzt in Großbritannien mit dem amateurhaften Skiffle und dem irischen Volkslied, in den 1970er Jahren in Österreich mit dem kabarettnahen Wienerlied und nach seiner kollektiven Umbewertung in der Mitte der 1980er Jahre mit dem älpischen Volkslied, nachdem dieses durch den Gebrauch im Dritten Reich entsprechend emotional besetzt war. Im Unterschied zum widerständischen Kabarett ist das älpische Volkslied allerdings nicht frei von Glorifizierung des Eigenen. Die stolze Vermittlung eines Heimatbegriffs umgibt dieses zumindest mit der Potentialität von Nationalismus, meist im ruhigen klanglichen Gewand als Teil eines beruhigend beschwichtigenden emotionalen Konzepts von Kultur.

F. ist authentisch, aber nicht volksmusikalisch. F. ist zunächst die Nutzung der medialen Distribution des in der Literatur manifestierten Gedankenguts der Beatniks, der Geschlagenen, der sich als intellektuelle Außenseiter des republikanischen Amerika fühlenden Jugendlichen. Dieselbe medienunterminierende Nutzung wird später Malcolm MacLaren mit den Sexpistols gelingen. Wiederum ist eine künstlerisch literarische Szene hinter diesem hackerartigen Schritt des Punk. Vorerst ist „on the road“ das programmatische Topic für die Flucht aus den Ballungszentren des das politische System stabilisierenden Kommerzes, den Städten – „back to the roots“ führt in die ländlich schwarze Umgebung. 1964 vollzieht Bob Dylan den Hackerschritt, die Gegenhaltung von der ländlichen Fluchtidylle in die massenhaft rezipierte Rock-Medien-Welt zu transportieren, symbolisiert durch den Griff zur „lauteren“ Elektro-Gitarre beim New Port-Festival, der breiteres Gehör geschenkt werde. Aus dem poetisch politischen Singer/Song-Writer F. machten die Byrds den F.-Rock.

Politische Gegenhaltung kennzeichnet auch den F. in Österreich. Das Protestlied (Protestsong) der österreichischen Liedermacher nach dem Vorbild der internationalen Singer/Songwriter findet in der Verschmelzung mit dem Wienerlied seine österreichische Variante.

Der spätere Allround-Künstler A. Heller, der Maler A. Brauer, Studenten aus dem linken Milieu (S. Maron) konstruieren mit ihren Worten alternative (politische) Welten. Einfachste Musik ist billigstes mediales Transportmittel und Signal dafür, der kleinen politischen Stimme Ausdruck zu verleihen.

J. Grunsky und die Milestones (G. Grosslercher, Beatrix Neundlinger, Ch. Kolonovits) begründen 1969 die F.-Rock-Gruppe. Im klaren Bekenntnis zu gesellschaftlicher Innovation im Bruch mit dem bürgerlichen Gefüge haben die Milestones und v. a. die in den ersten Jahren mit ihnen personell verwachsenen Schmetterlinge ihre musikalisch verpackte politische Arbeit fokussiert. Der Kern der 1969 gegründeten Gruppe (W. Resetarits, Georg „Schurli“ Herrenstadt, Erich Meixner) mit der durch den F. abseits des country und soul und damit abseits des ländlich naiven oder aufreizenden Gebrauchs mit Joan Baez als intellektuell etablierten weiblichen Stimme (Brigitte Schuster bis 1970, Pippa Armstrong 1971–76 und B. Neundlinger ab 1976) wird für spezifische Projekte von Wiener-Szene-Musikern ergänzt. Meixners Stücke Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel (1984) mit M. Bill und das Musiktheater der Schmetterlinge Rosa & Petersil (1999) versammeln die verschiedensten Besetzungen und Gäste.

Die Berufung auf Texte von Jura Soyfer oder die Proletenpassion sind Manifestationen des politischen Bekenntnisses, der Auftritt beim Eurovisions-Song Contest tat diesem keinen Abbruch.

Die Mutation vom deklarierten Protest-(Kunst-)Lied zur implizit politischen Arbeit im Dienst der „kleinen Stimme“ ist ein authentischer Aspekt von Rock, zum medialen Spiel mit breitester Wirkung wurde es mit der Kreation der Figur Ostbahn Kurti durch G. Brödl, verkörpert von W. Resetarits. Das Eintreten für Minderheiten (Resetarits selbst ist burgenländischer Kroate) mit deklariert politischer Position ist dieser Figur eigen.

Der österreichische F.-Rock bezog nicht nur klare politische Position. Misthaufens Monatspille als aktionistisches F.-Theater steht an der Geburt der Wiener Arena (1973), alternatives Gedankengut wird in politischer Handlung manifest. Bereits in den politischen Konzeptstücken der Schmetterlinge angelegt, verschmilzt mit Ostbahn Kurti der Austro-F. mit dem sozial intervenierenden Kabarett.

Aus der Melange des internationalen Rock und F. ist nicht nur der Austro-Rock und Austro-F. entstanden, sondern zugleich die Kräftigung der bereits in den 1950er Jahren ebenfalls in der Nähe der Beatnik-Literatur angesiedelten Kabarettszene, die wie F. international als literarische Kleinkunst begonnen, heute die dominante Form österreichischer Alltagskultur wurde, präsent in Musik, Fernsehen und Film.


Literatur
NGroveD 9 (2001); E. Larkey, Pungent Sounds 1993; Ch. Seiler, Schräg dahoam 1995; Ph. Maurer, Danke, man lebt. Kritische Lieder aus Wien 1968–1983, 1987; H. R. Unger, Die Proletenpassion. Dokumentation einer Legende 1989; B. Danneberg (Hg.), Die 68er. eine generation und ihr erbe 1998; Schiffkowitz [= H. Röhrling], Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben 1980.

Autor*innen
Werner Jauk
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Werner Jauk, Art. „Folk‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00020863
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x00020863
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