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Cäcilianismus
Kirchenmusikalische Reformbewegung im 19. und frühen 20. Jh.; benannt nach der Hl. Caecilia (3. Jh.?), seit dem 15. Jh. Schutzpatronin der Musik und Musiker, im 19. Jh. v. a. der Kirchenmusik. Ziel ist die „Wiederherstellung“ einer liturgiegerechten, würdigen Kirchenmusik, die Anklänge an alles Weltliche, v. a. Theatralische vermeidet. Die deutsche Frühromantik (Ludwig Tieck; Heinrich Wackenroder; E. T. A. Hoffmann; Anton Friedrich Justus Thibaut, Über Reinheit der Tonkunst 1825) sah das Ideal einer „wahren“ Kirchenmusik in der Vergangenheit verwirklicht, insbesondere im gregorianischen Choral und in der Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jh.s. mit Palestrina als Höhepunkt. Auch Neukompositionen sollten sich daran orientieren. Mit Ausnahme der Orgel sollten Instrumente die Singstimmen nur unterstützen, keinesfalls konzertieren, wie dies bei den Instrumentalmessen der Wiener Klassiker der Fall war. Auch in Österreich gab es seit dem frühen 19. Jh. katholische Restaurationsbestrebungen, etwa im Kreis um den Redemptoristen Klemens Maria Hofbauer (1751–1820). Verständnis für den a cappella-Gesang der alten sog. Niederländer (franko-flämische Musik) förderten Forscher wie R. G. Kiesewetter und A. W. Ambros. In Wien wurden ab den 1820er Jahren Kirchenmusikvereine zur würdigen Aufführung allerdings instrumentaler Kirchenmusik gegründet.

1868 gründete F. X. Witt am deutschen Katholikentag in Bamberg/D den Allgemeinen deutschen Cäcilien-Verein (ACV), nachdem ein Jahr zuvor ein ähnlicher Versuch in Innsbruck fehlgeschlagen war. Zeitschriften wie die Fliegenden Blätter für katholische Kirchen-Musik (seit 1866), die Musica sacra (seit 1868) und das Kirchenmusikalische Jahrbuch (seit 1886) sorgten für die Verbreitung der Reformideen. 1870 wurde der ACV durch ein Breve Pius’ IX. approbiert und erhielt dadurch einen quasi offiziellen Charakter. Die Bittschrift um päpstliche Approbation wurde auch vom österreichischen Episkopat (den Kardinälen, Bischöfen und Erzbischöfen von Prag, Wien, Salzburg, Olmütz, Breslau (Wrocław/PL), Budweis, Brixen, Gurk, Lavant, Capo d'Istria (Koper/SLO), St. Pölten, Leitmeritz und Seckau) unterzeichnet (Fliegende Blätter 6/3 [1871]). Generalpräses bis zu seinem Tode war Witt, der den ACV von Regensburg/D aus in alle deutschsprachigen Länder verbreiten wollte. Diesem Zweck dienten mehrere Reisen nach Leitmeritz, Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich zwischen 1869 und 1871. Als erste Diözese konnte Witt Brixen gewinnen. 1872 folgte Salzburg. Nicht überall kam es zu formellen Vereinsgründungen mit Anschluss an den ACV. Witt stieß v. a. dort auf Widerstand, wo eine lebendige Kirchenmusiktradition vorhanden war, die auch und gerade die Werke der Wiener Klassik umfasste und die Ablehnung der Instrumentalmessen durch den ACV missbilligte.

In Oberösterreich führte dieser Protest sogar zu einer Gegengründung: 1871 gründete J. E. Habert in Gmunden den Österreichischen Cäcilien-Verein (ÖCV), nachdem er bereits 1868 eine eigene Zeitschrift für katholische Kirchenmusik ins Leben gerufen hatte. Streitereien mit dem ACV, der in Oberösterreich u. a. durch den Chordirektor von St. Florian, I. Traumihler, gefördert wurde, führten dazu, dass Habert bereits 1872 seine Zeitschrift einstellen musste und der Verein seine Arbeit praktisch beendete. 1875 (konstituierende Versammlung) bzw. 1876 (definitive Vereinsgründung) wurde der Oberösterreichische Diözesan-Cäcilien-Verein (OÖCV) mit bischöflicher Approbation, aber wieder ohne Anschluss an den ACV ins Leben gerufen. Obmann wurde der Sakristeidirektor Christian Forster (1824–85). An der Gründung waren auch Domkapellmeister K. Zappe, Domorganist K. Waldeck und der spätere Domkapellmeister Domdechant J. B. Burgstaller beteiligt. Als Vereinsorgan diente 1877–85 Haberts wiederaufgenommene Zeitschrift für katholische Kirchenmusik. Seinen Unmut über Witt und die Regensburger veröffentlichte Habert u. a. in dem Büchlein Der deutsche Cäcilien-Verein (1877). Von der Linzer Diözese gingen in den frühen 1880er Jahren auch entscheidende Bestrebungen zu einer neuerlichen gesamtösterreichischen Gründung aus. 1884 wurde der Österreichische Central-Cäcilienverein ins Leben gerufen, dem zunächst nur die Diözesen Linz und St. Pölten angehörten, 1885 folgte der Wiener St.-Ambrosius-Verein, dessen Vorstand Propst Godfried Marschall (1840–1911) Vereinspräses wurde. Unterstützt wurde der Verein von Josef Battlogg (1836–1900), dem Herausgeber des Kirchenchores in Vorarlberg und von Anton Podrabsky (1850–99), Redakteur des Ambrosiusblattes in Wien. Bei aller Selbständigkeit und Betonung der eigenständigen österreichischen Tradition suchte man eine Zusammenarbeit mit Witt und dem ACV. Da im Gegensatz zu St. Pölten und Linz die Approbation durch das Wiener Ordinariat verweigert wurde, war auch diesem Verein nur ein kurzes Leben beschieden. 1887 erließ der Linzer Bischof Ernest Maria Müller (1822–88) kirchenmusikalische Verordnungen, in denen er sich im Sinne des österreichischen C. für die Instrumentalmusik aussprach. Nach dem Tode Witts 1888 kam es unter dem neuen Präses des ACV, Friedrich Schmidt (1840–1923), allmählich zu einem entspannteren Verhältnis zwischen deutschem und österreichischem C.

In der niederösterreichischen Diözese St. Pölten standen Josef Zelger (1823–83, Pfarrer von Mank) und Anton Ditko (1834–1901, Lehrer an der Kremser Lehrerbildungsanstalt, Herausgeber der Kirchenmusikzeitschrift Harmonia sacra) dem ACV nahe, während J. Gabler als Mitarbeiter an Haberts Zeitschrift und der Regens chori von Seitenstetten, P. M. Wenger, dem österreichischen C. zuneigten. Im Stift Altenburg trat der Prior und Chorleiter P. Veremund Högner (1818–83) für eine Reform ein. Ditko, Zelger und Högner traten dem Wiener St. Ambrosius-Verein bei, Gabler wirkte im OÖCV. 1886 kam es zur Gründung eines diözesanen Cäcilienvereines unter dem Präses Franz Willvonseder (1817–1893). Ditkos Harmonia sacra wurde Vereinsorgan, er selbst ab 1890 Präses. Seine Nachfolger waren ab 1895 Zelger, ab 1899 Wenger, ab 1905 der Pfarrer von Oberwölbling, Alois Kastner (1862–1921). Zu den führenden Kräften zählten neben den schon Genannten noch Josef Preßl (Musiklehrer; 1845–1912), P. Lambert Karner (Stift Melk; 1841–1909) und der Göttweiger Regens chori P. Robert Johandl (1861–1925). Streitigkeiten über die Richtung (Anlehnung an ACV) und das Kirchengesangbuch führten zum Rückzug Gablers aus dem Ausschuss. 1895 erschien die Broschüre Über die Bedingungen einer gesunden Reform der Kirchenmusik von P. Isidor Mayrhofer (1862–1951) aus Seitenstetten, der sowohl den ACV als auch die Instrumentalmessen der Klassik angriff und als Ideal die Werke Moritz Brosigs (1815–87, Breslauer Domkapellmeister) empfahl. 1905 erfolgte der Anschluss an den ACV.

In Salzburg fand der ACV im späteren Erzb. und Kardinal J. B. Katschthaler, seit 1884 Diözesanpräses des 1872 gegründeten Salzburger Cäcilienvereines, einen vehementen Verteidiger der strengen Regensburger Richtung. Katschthaler lehnte strikt jede Instrumentalmusik in der Kirche ab. 1886–93 gab er die von ihm gegründete Kirchenmusikalische Vierteljahresschrift als Organ des Cäcilienvereines heraus. 1893 erschien seine Kurze Geschichte der Kirchenmusik, die die ganze Entwicklung der Kirchenmusik vom cäcilianischen Standpunkt betrachtet. 1899 war er maßgeblich am sog. Salzburger Programm beteiligt, das ein engeres Zusammengehen der einzelnen Diözesanvereine vorsah. Diesem Programm traten die Diözesen Salzburg, Seckau, Linz und St. Pölten bei. Von den Salzburger Domchordirektoren berücksichtigen I. Achleitner, J. Hupfauf und H. Spies sowie der Chordirektor von St. Peter, C. Santner, in unterschiedlichem Ausmaß die Forderungen des C.

Auch in der Steiermark war der ACV erfolgreicher, wenn auch hier nicht ohne Probleme: Vertreter der strengen Regensburger Richtung wie der Kaplan Andreas Strempfl (1838–86) aus Pürgg forderten mit Ausnahme der Orgel die Abschaffung der Instrumente, wogegen sich Domorganist L. C. Seydler und Domchorregent K. Radler wandten, die Anhänger der gemäßigten Richtung Haberts waren und weder die Instrumentalmessen der Wiener Klassik noch neuere kompositorische Entwicklungen durch die Reform streichen wollten. Strempfl gründete 1869 den Cäcilienverein im steiermärkischen Ennsthale zwar nicht als Zweigverein des ACV, aber in dessen Sinne. Wegen Seydlers Einwände entstanden zunächst Pfarr-Cäcilienvereine außerhalb von Graz (St. Lambrecht, Murau, St. Georgen ob Murau, Bruck an der Mur: E. Brunner, Riegersburg). Erst 1875 wurde der Diöcesan-Cäcilienverein (DCV) Seckau als Zweigverein des ACV gegründet (Diözesanpräses: Univ.Prof. Franz Fraidl, ab 1885 Domkapellmeister Joh. Weiß, ab 1895 dessen Nachfolger J. Wibl; ab 1905 der Komponist A. Faist, ab 1933 Dompropst Franz Puchas), aufgrund von Widerständen konnte die Jahresversammlung des DCV erst ab 1880 in Graz stattfinden. 1876 und 1891 wurde die Generalversammlung des ACV in Graz abgehalten. 1876 beteiligte sich aus Protest gegen die strenge Regensburger Richtung kein Grazer Kirchenchor an den Aufführungen. L. C. Seydler hatte eine Streitschrift (Abwehr gegen die maßlosen Angriffe d. Hrn. Witt) für die Teilnehmer verfasst. Sein Sohn und Nachfolger als Domorganist, A. Seydler , lehnte dagegen die Instrumentalmessen ab. Neben A. Seydler vertraten die Domkapellmeister Joh. Weiß und J. Wibl sowie Johann E. Haimasý (1847–1903; Musiklehrer am fürstbischöflichen Knabenseminar, Herausgeber des Diözesangesangbuches Hosanna 1885) die Regensburger Richtung. Bei der Generalversammlung des ACV 1891 gelangte u. a. A. Bruckners Ave Maria zur Aufführung, das von Witts Nachfolger, Generalpräses Friedrich Schmidt, als unliturgisch abgelehnt wurde. Im Gegensatz zu Oberösterreich konnte der ACV über seinen steirischen Zweigverein eine große Wirksamkeit entfalten: Viele Kirchenchöre schlossen sich seinen Intentionen an, der DCV organisierte Organisten- und Chorregentenkurse. Auch die Choralpflege wurde in die Reformbestrebungen einbezogen. Durch die Beziehungen zur Abtei Seckau wandte sich der DCV bald von den Regensburger Choralbüchern ab und der Choralforschung von Solesmes zu, die für eine Restitution des mittelalterlichen Chorals und nicht wie Regensburg für jenen bereits stark geänderten der Palestrina-Zeit eintrat (Choralreform). Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm immer mehr die Diözesan-Kirchenmusik-Kommission (heute: Sektion für Kirchenmusik in der Diözesankommission für Liturgie) die kirchenmusikalischen Aufgaben des DCV. 1969 wurde er aufgelöst.

Die größten Widerstände gegen die Reformvorstellungen des C. gab es erwartungsgemäß in Wien. Die Tradition der Instrumentalmessen in der Nachfolge der Wiener Klassik (meist für einfache Verhältnisse geschriebene sog. Landmessen bzw. Pastoralmessen für die Weihnachszeit; Beispiele von M. Nagiller, J. Preindl, A. Rieder, J. B. Schiedermayr) dominierte das Repertoire. Textkürzungen von Gloria und Credo, Einlagen, im Opernstil oder tatsächlich aus der Oper übernommen, für Graduale und Offertorium (Beispiele von L. Eder und F. v. Suppè, C. M. Ziehrer, E. Bauduin), Intraden, Tusche oder Märsche zum Einzug waren üblich. Gegen diese Usancen trat ab den späten 1860er Jahren Jos. Böhm auf (zuerst als Regens chori von Mariahilf und später als Kapellmeister der Kirche Am Hof). Als Choral- und Figuralgesanglehrer an der Schule des Vereins zur Beförderung echter Kirchenmusik wirkte er für eine Reform im Sinne des ACV, und auf sein Betreiben wurde der genannte Verein 1871 in Wiener Cäcilien-Verein umbenannt und umgestaltet. Dieser führte die Vereinsschule des Vorgängervereins weiter. Als Chorleiter des Cäcilien-Vereines führte Böhm in verschiedenen Wiener Kirchen a-cappella-Werke auf und gewann Ambros für die Reformbewegung (1875/76 Vereinspräses). In seiner Broschüre Der gegenwärtige Zustand der katholischen Kirchenmusik und des kirchlichen Volksgesangs in Wien und Umgebung (1876) rechnete er mit den kirchenmusikalischen Zuständen ab, zog sich damit aber den Unmut des ohnehin nicht reformwilligen Klerus zu. 1878–81 erschienen die Wiener Blätter für katholische Kirchenmusik als Organ des Wiener Cäcilien-Vereines, redigiert von Böhm und dem Direktor der Kirchenmusikschule des Vereins, K. Hausleithner. Bemühungen, den Oberösterreichischen und Wiener Cäcilien-Verein zu vereinigen, scheiterten an der unterschiedlichen Grundausrichtung. Böhm, der als Verfechter Witts die Kirchenmusik der Wiener Klassik ablehnte, konnte sich mit Habert nicht einigen. Doch auch im Wiener Cäcilien-Verein setzten sich die Vertreter einer österreichischen Richtung durch, woraufhin Böhm seine Vereinsämter 1880 zurücklegte. Habert sollte an seiner Stelle die Vereinsschule übernehmen. Zu einer Berufung kam es allerdings nicht. Böhm gründete 1880/81 einen neuen Verein, den Allgemeinen Kirchenmusik-Verein „St. Ambrosius“ in Wien. Als Vereinszeitschrift wurde das von Anton Podrabsky redigierte Ambrosius Blatt gegründet, das aber 1883 sein Erscheinen wieder einstellen musste. Böhm wurde Kapellmeister des Vereines, O. Müller Chormeister des Chorakademie genannten Vereinschores, F. Liszt Ehrenmitglied des Vereines. 1885 wurde der Anschluss an den Österreichischen Central-Cäcilienverein beschlossen, der sich aber nie richtig entfalten konnte. Anton Ditkos Harmonia sacra, Organ des Cäcilienvereines der Diözese St. Pölten, wurde ab 1891 auch Organ des Ambrosius-Vereines. Nach Böhms Tod 1893 beschränkte sich der Verein auf die Weiterführung der Vereinsschule. 1906 wurden Ambrosius- und Wiener Cäcilien-Verein unter dem Namen Allgemeiner Kirchenmusik-Verein (artistischer Leiter Böhms Bruder Julius) vereinigt. Auch der neue Verein unterhielt eine Vereinsschule, die Lehranstalt für kirchliche Tonkunst, konnte sich aber nicht lange halten: Bald nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er aufgelöst.

Die gemäßigte Richtung eines österreichischen C. vertrat in Wien u. a. C. M. Wolf, Regens chori der Minoriten-, Dominikaner- und Univ.skirche. Der Kirchenmusikverein an der Votivkirche (1889 von Marschall gegründet; Kapellmeister und Leiter der MSch.: Th. Kretschmann) stand in direkter Beziehung zu Habert. Als Vereinsorgan diente eine Beilage zur Neuen Wiener Musik-Zeitung mit dem Titel Blätter für Kirchenmusik. Mit der Herausgabe der Reihe Kirchenmusik österreichischer Meister sowie sämtlicher Werke von Domkapellmeister G. Preyer sollte die österreichische Kirchenmusik gefördert werden. Auch andere Vereine bemühten sich um eine Verbesserung der Kirchenmusik: so die Sektion für Ton- und Dichtkunst des Christlich-religiösen Kunstvereins für Nieder-Österreich in Wien mit dem Vereinsorgan St. Leopoldus Blatt und der Priester-Anbetungsverein für die Erzdiözese Wien.

Mit der Berufung von A. Weirich als Domkapellmeister 1903 wurden cäcilianische Bestrebungen erstmals auch an St. Stephan verwirklicht. Im selben Jahr verfasste Papst Pius X. ein Motu proprio, das die liturgische Vorrangstellung von Choral und Vokalpolyphonie bekräftigte und dessen Verbindlichkeit für alle Kirchen 1904 von der Ritenkongregation bestätigt wurde. Aus Angst vor einer Beschneidung der instrumentalen Kirchenmusik wie auch des Frauengesangs begab sich eine Abordnung, angeführt von Univ.sbibliothekar A. Schnerich, nach Rom und holte sich – zum Ärgernis der strengen Cäcilianer – die ausdrückliche päpstliche Erlaubnis zur weiteren Pflege der Wiener Klassiker. Auch der kirchliche Frauengesang wurde weiterhin geduldet. Schnerich, der auch Vizepräsident des Kirchenmusikvereines St. Peter war, gab beim Augsburger Verlag Anton Böhm eine Reihe österreichischer Kirchenmusik heraus, die Denkmäler liturgischer Tonkunst. Als Bearbeiter der einzelnen Bände gewann er Carl Rouland (1865–1935; Chordirektor von St. Peter), F. Habel, A. M. Klafsky und J. Lechthaler.

In der Folge wurde der C. an der 1910 gegründeten Abteilung für Kirchenmusik der Akademie für Musik und darstellende Kunst durch die Lehrer V. Goller, M. Springer und F. Moissl gefördert. Mit der Anstellung des späteren Leiters der Abteilung, J. Lechthaler, gewann ein liberal eingestellter C. die Oberhand, der die Pflege von Choral, Palestrina-Stil und der Wiener Klassik, aber auch von Barockkompositionen vereinbaren konnte. Die nur kurz bestehende Schola Austriaca (Protektor Kardinal Friedrich Gustav Piffl, 1864–1932; Oberleiter der Abt von St. Emaus, Alban Schachleitner, 1860–1937) vereinigte österreichische Kirchenmusiker mit dem Ziel der Förderung der Kirchenmusik im Sinne des Motu proprio. Mit der 1913 erfolgten Ernennung des Klosterneuburger Propstes Piffl zum Fürsterzb. von Wien erhielten cäcilianische Vorstellung endgültig Einzug in Wien. Die Zeitschrift Musica divina (ab 1913) wurde offizielles Organ für Kirchenmusik der Erzdiözese Wien.

In Böhmen vertrat der 1826 in Prag gegründete Verein zur Förderung der Kirchenmusik in Böhmen (Jetnota k zvelebení kostelní hudby v Čechách) cäcilianische Ziele. Unter den Lehrern der Vereins-Orgelschule komponierten insbesondere K. F. Pitsch und R. J. N. Führer auch cäcilianisch geprägte Kirchenmusik. 1874 gründete der Kunsthistoriker Ferdinand Lehner eine cäcilianische Zeitschrift (Cecilie, 1879–1948 unter dem Titel Cyril) und 1879 den ersten Cäcilienverein Obecná jednota cyrilská (Allgemeiner cyrilischer Verein, benannt nach Cyrilismus, dem tschechischen Namen für C., nach dem Slawenapostel Cyrill), an dessen Gründungsversammlung Witt, Franz Xaver Haberl (1840–1910, Regensburger Domkapellmeister), A. W. Ambros und J. L. Bella teilnahmen.

In Reaktion auf ein säkularisiertes Zeitalter vertrat der C. ein theologisches Anliegen: Ziel war die Schaffung einer liturgiegemäßen Kirchenmusik, die im Einklang mit der kirchenmusikalischen Gesetzgebung steht. Das Kirchenchor- und Kirchenmusikschulwesen wurde reorganisiert, Instruktionskurse für Organisten und Chorregenten veranstaltet und der kirchliche Volksgesang gefördert, allerdings nur außerhalb der Liturgie. Hier wurde der C. von der Liturgischen Bewegung abgelöst. Er büßte seine Bedeutung spätestens durch das Zweite Vatikanisches Konzil ein. An Stelle des ACV und seiner Diözesanvereine traten in Österreich die von den Bischöfen bestellten Diözesankommissionen für Kirchenmusik.


Literatur
MGG 2 (1995); NGroveD 5 (2001, Cecilian movement); BrucknerH 1996; [Kat.] Musik i. d. St 1980; Schneider 1935; LdM 2000; L. C. Seydler, Abwehr gegen die maßlosen Angriffe d. Hrn. Witt 1876; J. E. Habert, Der deutsche Cäcilien-Verein 1877; I. Mayrhofer, Über die Bedingungen einer gesunden Reform der Kirchenmusik [1895]; J. Mantuani, Prof. Josef Böhm 1895; A. Seydler in KmJb 15 (1900); A. Kienle, Maß und Milde in kirchenmusikalischen Dingen 1901; A. Schnerich, Die Frage der Reform der katholischen Kirchenmusik 1901; A. Seydler in Musikbuch aus Österreich 2 (1905); A. Schnerich, Die Reform der katholischen Kirchenmusik 1903; M. Cudermann, Der C. in Wien und sein erster Repräsentant am Dom zu St. Stephan, August Weirich, Diss. Wien 1960; W. Graf, Josef Gabler und die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung in Österreich, Diss. Wien 1964; Ph. Harnoncourt in G. Schumacher (Hg.), [Fs.] K. Ameln 1974; J. Moser, Johannes Evangelist Habert, Diss. Graz 1974; E. Kleinschuster, Der C. in der Steiermark, Diss. Graz 1975; J. Schwermer in K. G. Fellerer (Hg.), Geschichte der katholischen Kirchenmusik 2 (1976); B. Boisits in Hist. Jb. d. Stadt Graz 27/28 (1998); B. Boisits in BrucknerJb. 1997–2000.

Autor*innen
Barbara Boisits
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Barbara Boisits, Art. „Cäcilianismus‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001ca8f
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10.1553/0x0001ca8f
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