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Arbeiter-Musikbewegung
Spezifische Form der Musikkultur der österreichischen Arbeiterschaft. Die Anfänge der A. reichen bis in die 1860er Jahre zurück. Nach der Neuordnung des Vereins- und Versammlungsrechtes 1867 schufen Arbeiter-Bildungsvereine die Basis für eine eigenständige A. Dabei handelte es sich vorwiegend um Chorvereinigungen, erst nach 1900 finden sich auch Instrumentalensembles wie Mandolinenorchester, Zithervereine u. ä. (diese bleiben aber immer nur von marginaler Bedeutung für die A.). Die ersten bekannten Chöre entstanden 1868 im Rahmen des Fortbildungsvereines der Wiener Buchdrucker, dem Gutenberg-Bund bzw. als eigene Gesangssektion des Arbeiter-Bildungsvereines Gumpendorf. Waren diese frühen Organisationsformen noch eher am Bedürfnis nach Geselligkeit und Identität orientiert, kommt es Ende des 19. Jh.s immer häufiger zur Gründung betont sozialdemokratisch ausgerichteter Chorvereine. Diese Politisierung bedeutete oftmals schikanöse Verfolgung durch die Zensurbehörden. Die „subversive Qualität“ bzw. der „demonstrative Charakter“ der Lieder boten so Anlass einzuschreiten. Ungeachtet dieser Behinderungen nahm die A. nach dem Hainfelder Einigungsparteitag 1888/89 merklichen Aufschwung. Der 1891 vom Gründungsvater der A. J. Scheu ins Leben gerufene Verband der Arbeiter-Gesangvereine Niederösterreichs umfasste 1892 bereits 22 Vereine mit rund 1.000 Mitgliedern, 1901 folgte der Zusammenschluss der einzelnen Landesverbände im Reichsverband der AGV. 1914 verzeichnete man bereits 384 Vereine mit insgesamt 9.136 Sängerinnen und Sängern. Diesem organisatorischen Aufschwung entsprach auf künstlerischem Sektor ein angestrengtes Bemühen um Hebung des Niveaus. Neben politischen Freiheitsliedern, volkstümlicher Literatur und typischen Männer- bzw. Liedertafelchören versuchte man vermehrt, sich das sog. „bürgerliche Kulturerbe“ – also die traditionelle Kunstmusik aus Wiener Klassik und Romantik – anzueignen. Einen ersten Höhepunkt dieser Bemühungen stellte die Gründung der Arbeiter-Sinfoniekonzerte durch D. J. Bach 1905 dar. – Während des Ersten Weltkrieges kam die A. fast gänzlich zum Erliegen, konnte aber in den frühen 1920er Jahren relativ rasch reorganisiert werden und erlebte bis zur gewaltsamen Auflösung 1934 ihre organisatorische, künstlerische und kulturpolitische Blüte. So verzeichnete der Verband 1920 bereits wieder 256 Vereine mit insgesamt 9.064 Mitgliedern. Bis Ende 1928 stiegen diese Zahlen auf 473 Vereine mit 15.589 Sängerinnen und Sängern. Wenn sich auch die Mehrzahl der AGV weiterhin auf die Pflege einfacher romantischer Chorliteratur, alter Tendenz-Lieder sowie geselliger Werke schlichter Art beschränkten, so errangen doch einige wenige Vereine der A. überregionale Bedeutung. Hervorzuheben wäre etwa die Chorvereinigung der Buchdrucker Wiens, die Freie Typographia oder der Singverein der Sozialdemokratischen Kunststelle. Letzteren leitete A. Webern ab dessen Gründung 1923. Unter seiner Führung kam es u. a. zu vielbeachteten Aufführungen von Symphonien L. v. Beethovens und G. Mahlers. Neben die Pflege traditioneller Kunstmusik trat Ende der 1920er Jahre auch verstärkt politisch ausgerichtete Musik. Gefördert durch innenpolitische Radikalisierung standen nun auch des Öfteren neu komponierte, auf propagandistische Massenwirkung zielende Chorwerke, sog. „sozialistische“ Oratorien bzw. Kantaten sowie einfach-einprägsame Massenchöre im Vordergrund (u. a. von H. Eisler, P. A. Pisk, V. Korda). – Nach dem 12. Februar 1934 kam die A. faktisch zum Erliegen. Einer anfänglichen Wiederbelebung nach 1945 folgte jedoch bald eine organisatorische wie inhaltliche Krise (Nachwuchsproblematik, fehlende aktuelle und niveauvolle Chorliteratur, übermächtige Konkurrenz der Freizeitindustrie). Nur mehr anlässlich vereinzelter Großereignisse (z. B. 100 Jahr-Jubiläum Lied der Arbeit verbunden mit dem 1. Österreichischen Bundessängerfest in Wien 1968; 7. Internationales Chor- und Musikfest der IDOCO [= International des Organisations Culturelles Ouvrières] 1985; Jubiläumsfestival 100 Jahre ÖASB [= Österreichischer Arbeiter Sängerbund] 1991 in Wien) erinnert die A. heute noch an ihre einstige kultur- und musikhistorische Bedeutung.
Literatur
W. Jank, Arbeitermusik zwischen Kunst, Kampf und Geselligkeit, Diss. Wien 1982; H. Brenner, „Stimmt an das Lied...“ 1986; M. Permoser, [Fs.] 100 Jahre Österreichischer Arbeiter-Sängerbund 1991; K. Hahn in JbÖVw 30 (1981); R. Kannonier, Zwischen Beethoven und Eisler. Zur Arbeitermusikbewegung in Österreich 1981.

Autor*innen
Manfred Permoser
Letzte inhaltliche Änderung
31.5.2023
Empfohlene Zitierweise
Manfred Permoser, Art. „Arbeiter-Musikbewegung‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 31.5.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f71d
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Verherrlichung der Musik im Sozialen Wohnungsbau. Majolikareliefs (1931) am ‚Gerlhof‘, Leystraße 47–53 / Vorgartenstraße 34–40 (Wien XX)© Björn R. Tammen
© Björn R. Tammen

DOI
10.1553/0x0001f71d
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